Zum einen darum, dass die Welt in Textilien ertrinkt. Zuletzt wurden weltweit über 100 Milliarden Kleidungsstücke pro Jahr produziert, mehr als doppelt so viele wie zur Jahrtausendwende. Das liegt auch daran, dass große Modeketten wie Zara, H&M und Primark in immer schnelleren Zyklen neue Kollektionen auf den Markt werfen. Dieser als “Fast Fashion” bezeichnete Trend hat massive Auswirkungen: Für die schnelle Mode werden nicht nur Umwelt und Arbeiter:innen ausgebeutet, am Ende steht auch noch ein riesiger Müllberg. In Europa allein werden laut Greenpeace jährlich 5,8 Millionen Tonnen Kleidung weggeworfen, drei Viertel davon enden auf der Müllkippe oder werden verbrannt. Nur ein Viertel wird recycelt. Aber auch das heißt nicht, dass wieder neue Kleidung entsteht. Die Alttextilien werden meist geschreddert und zu Putzlappen oder Dämmmaterial verarbeitet, also bloß downgecycled.
Zum Anderen, das ist das zweite Problem, haben viele Menschen mit Migrations- oder Fluchtgeschichte zwar besondere Fertigkeiten und würden gerne arbeiten, haben aber keinen formellen Berufsabschluss. Ohne Zeugnis hat man es aber verdammt schwer auf dem deutschen Arbeitsmarkt.Die Folge ist oft Langzeitarbeitslosigkeit und fehlende Integration.
Ok und was hat das eine mit dem anderen zu tun?
Im Fall des Hamburger Designlabels Bridge&Tunnel eine ganze Menge. Die beiden Gründerinnen Conny Klotz und Lotte Erhorn haben sich 2015 zusammengetan, um dem Fast-Fashion-Irrsinn entgegen zu treten und zugleich gesellschaftlich benachteiligten Menschen eine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu geben. Ihr Ansatz: Ein faires, lokal produzierendes Upcycling-Label. Alte Jeans, die sonst entsorgt würden, werden in der Werkstatt in Hamburg-Wilhelmsburg zu Taschen, Rucksäcken oder Kissenbezügenumgeschneidert. Dabei beschäftigen die beiden vor allem Frauen mit Migrations- oder Fluchtgeschichte, die zwar super nähen können, aber keine in Deutschland anerkannten Zeugnisse haben. Dahinter steht die Philosophie des Social Designs, also der Gedanke, dass das Endprodukt und die Art und Weise der Produktion unweigerlich miteinander verwoben sind. Entsprechend lautet das Motto von Bridge&Tunnel: We design society.
»Unsere Idee: Wir nutzen Design als Hebel, um die Gesellschaft zu verbessern. Jeans sind dafür super geeignet, weil jeder sie hat. Dieser Planet ertrinkt in Jeans.« Conny Klotz, Co-Gründerin Bridge&Tunnel
Und funktioniert das auch?
Das wollten wir natürlich genau wissen. Wir haben uns nicht nur ausführlich mit der Label-Gründerin Conny unterhalten, Studien zu Fast Fashion gelesen und Expert:innen befragt, sondern auch selbst upgecycelt: Christian hat zwei geliebte, aber unrettbar zerschlissene Jeans um- beziehungsweise hochschneidern lassen, zum Kissen “Letter”.
Hier ein paar Punkte, die wir wichtig finden:
1. Das Social Business
Von Anfang an stieß das Projekt auf enorme Resonanz, erinnert sich Conny. Auf einen Aufruf im örtlichen Anzeigenblatt hin, dass handwerklich begabte Schneider:innen auch ohne Ausbildung gesucht würden, meldeten sich 56 Menschen. “Eigentlich wollten wir vier Leute einstellen und haben dann gleich sechs genommen”, sagt Conny. Heute beschäftigt Bridge&Tunnel neun Mitarbeiter:innen in sozialversicherungspflichtiger Teilzeit (Conny und Lotte eingerechnet) und zwei Minijobber:innen. 20 Leute wollen sie perspektivisch werden. Bezahlt wird nach Tarif und damit über Mindestlohn. Weil viele der Näher:innen aus der Langzeitarbeitslosigkeit kommen, fördert das Jobcenter deren Arbeitsverhältnisse anteilig und befristet. Pro Jahr verarbeiten sie etwa eine Tonne Jeans. Dabei schneidern sie aus einer alten Jeans beispielsweise drei Bauchtaschen. Für ein Kissen benötigen sie zwei bis vier und für das Plaid, eine Art Tagesdecke, sogar 20 Jeans.
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