Auf einen Blick
Idee: Die niederländische Jeansmarke Kings Of Indigo sieht sich als Vorreiter der Branche in Sachen nachhaltiger und fairer Produktion. Nun will sie Jeans herstellen, für die keine neue Baumwolle angebaut werden muss: Jeans aus 100 Prozent recyceltem Material.
Impact: Das Unternehmen hat schon viel erreicht: Ein Fünftel des Sortiments besteht aus recyceltem Material. Es setzt außerdem auf pflanzliche Materialien und arbeitet daran, seinen Wasserverbrauch zu reduzieren. Hinter den ambitionierten Zielen, das es sich selbst gibt, bleibt das Unternehmen dennoch manchmal zurück.
Glaubwürdigkeit: Nach einer Flip-Anfrage verschwindet ein Nachhaltigkeitsbericht mit fragwürdigen Zahlen von der Website des Unternehmens. Auf Nachfrage kommuniziert das Unternehmen allerdings transparent und legt der Redaktion weitere Belege vor.
Kathrin und Sebastian Proft sind für die Modebranche, was Physiotherapeut:innen für den Profi-Fußball sind: Sie kommen erst aufs Feld, wenn die Spieler:innen am Boden liegen. Das Unternehmerpaar Proft kauft ein insolventes Modelabel nach dem anderen auf. Erst das nachhaltige Stricklabel Stapf, dann die Trachtenmarke H. Moser, jetzt die Jeansmarke Kings Of Indigo. Die Profts profitieren also vom Versagen der anderen, könnte man sagen.
Diesmal war es Tony Tonnaer, der aufgeben musste. Er gründete 2011 die Marke „Kings Of Indigo“ (KOI). Tonnaer versteht sich selbst als Pionier der nachhaltigen Jeansmarken. Vor KOI seien „schön“ und „fair“ zwei unterschiedliche Welten in der Modeindustrie gewesen, so erzählt es Tonnaer in einem Podcast. Und er sei angetreten, um diese beiden Welten zu vereinen, um das Faire schön zu machen oder andersherum. 2012 hing die erste KOI-Kollektion in den Läden. Am Anfang ging es Tonnaer bei einer nachhaltigen Jeans vor allem um den Einsatz von Biobaumwolle und um faire Arbeitsbedingungen. Später wurde Tonnaer der Kreislauf wichtiger, er setzte mehr und mehr auf recycelte Baumwolle. „Die zukunftsorientierte Denkweise hat dazu beigetragen, den Kurs der Mode zu bestimmen und zu verändern – wobei Kings Of Indigo den Anderen immer zwei Schritte voraus ist“, wird Tonnaer auf der Unternehmenswebsite zitiert.

Doch die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Lieferkettenschwierigkeiten haben Tonnaers Marke schwer zugesetzt. Im November 2022 musste KOI Insolvenz anmelden. Dann kamen Kathrin und Sebastian Proft ins Spiel. „Es tut absolut weh, alles zurückzulassen, wofür wir so hart gearbeitet haben“, schreibt Gründer Tony Tonnaer in einem Statement. Derzeit besteht das Team aus 15 Personen. Im vergangenen Jahr produzierte Kings Of Indigo 72.000 Jeans.
Welche Materialien verwendet Kings Of Indigo?
2021, zehn Jahre nach der Gründung, führte Kings Of Indigo (KOI) das erste Sortiment an vollständig recycelten Denims ein. Der Denimstoff bestehe zu 80 Prozent aus Schnittresten und Garnabfällen und zu 20 Prozent aus Baumwolle bereits getragener Kleidungsstücke. Mittlerweile sei ein Fünftel des Sortiments vollständig recycelt, erklärt Nikki Bosboom, CSR-Managerin von Kings Of Indigo. Oder „Queen of CSR“, wie es in ihrer Signatur steht. So wird sie im KOI-Königreich genannt.
„Grundsätzlich ist der Einsatz von recycelter Baumwolle gut, weil so Ressourcen geschont und Abfall vermieden wird“, sagt Lavinia Muth, Expertin für nachhaltige Bekleidung und Beraterin für ethische Geschäftspraktiken. Entscheidend sei jedoch die Qualität des recycelten Baumwollgarns, denn recycelte Fasern seien kürzer als Frischfasern und das Garn damit weniger belastbar: „Wenn der Denim-Stoff, der zu 100 Prozent aus recycelten Fasern besteht, dünner ist und schneller reißt, dann ist das Kleidungsstück weniger langlebig und somit auch weniger nachhaltig“, sagt Muth.
KOI will neben der Ressourcenverschwendung mit seinen Jeans aber noch ein weiteres Problem der Branche lösen: das Plastik-Problem. Viele Jeans enthalten neben der Baumwolle einen Anteil an Synthesefasern wie zum Beispiel Elasthan, um die Jeans elastischer zu machen. Diese Fasern werden aus Erdöl hergestellt. Zusammen mit der italienischen Weberei Candiani habe KOI einen 100 Prozent pflanzlichen, veganen und biologisch abbaubaren “Bio-Stretch-Denim” entwickelt. Der Denimstoff wird aus erneuerbarem Naturkautschukgarn auf Pflanzenbasis hergestellt.
„Das ist ein Beispiel für eine Materialinnovation, die sehr gut ist und auch im Markt gut funktionieren kann – wir brauchen mehr solcher Entwicklungen, mehr Vielfalt, was gesunde und kreislauffähige Materialien angeht“, sagt Sarah Maria Schmidt, Forscherin für Kreislaufmaterialien. „Kreislauffähigkeit ist jedoch nicht gleichzusetzen mit Recyclingfähigkeit, der Recyclingloop scheint bei dem Bio-Stretch-Denim noch nicht geschlossen“, sagt Schmidt.

Wie transparent ist Kings Of Indigo?
Ohne Transparenz sei Nachhaltigkeit nur ein Wort, steht auf der KOI-Website. Wie steht es also um die Transparenz beim Label? Auf der Website oder durch das Scannen eines QR-Codes am Produkt erfährt man die Namen der Baumwolllieferanten, Garnspinnereien, Färberein und Nähereien sowie deren Adressen. KOI veröffentlicht diese Lieferanten außerdem gesammelt im Open Supply Hub, einer Lieferketten Plattform. Die Baumwolle für die KOI-Jeans kommt aus der Türkei, Tadschikistan, Kirgisistan und aus Afrika. Produziert werden die Hosen in der Türkei. Bis 2022 wollte das KOI-Team sogar eine vollständige Transparenz der gesamten Lieferkette erreichen. Das hat das Unternehmen jedoch nicht geschafft. 78 Prozent der Sublieferanten seien erfasst, rechnet Bosboom vor. Einige Zulieferer und Baumwoll-Landwirt:innen kenne das Unternehmen nicht.
„Vom Boden bis ins Geschäft sind wir bestrebt, die Wasserverschwendung zu reduzieren“, lautet ein weiteres Versprechen der Marke. KOI veröffentlichte 2021 einen Nachhaltigkeitsbericht. Laut Bericht sollen pro Jeans 35,8 Liter für die Waschung und die Veredlung aufgewendet werden, der Anbau der Baumwolle und die Garn- und Stoffherstellung sind dabei nicht mit eingerechnet. „Solange diese Zahlen nicht mit Testberichten oder einer Lebenszyklusanalyse belegt werden, kann man mit diesen Werten eigentlich nichts anfangen, es gibt keine Vergleichswerte und auch keine Belege für den tatsächlichen Wasserverbrauch“, sagt Lavinia Muth.
Während unserer Recherche veröffentlicht KOI einen weiteren Nachhaltigkeitsbericht für das Jahr 2022. Indes verschwindet der Bericht aus 2021 nach unserer Nachfrage zu den Zahlen zum Wasserverbrauch der Jeans von der Website. Die Begründung von KOI: Eine Beschwerde von GOTS. KOI hatte das GOTS-Logo in seinem Bericht verwendet. Da KOI als Unternehmen nicht GOTS zertifiziert sei, dürfe man auch nicht mit dem Label werben. Der Bericht sei daher gelöscht und einfach nicht wieder hochgeladen worden.
Doch im neuen Bericht von 2022 fehlen plötzlich die Zahlen zum Wasserverbrauch der Jeans. Als Kund:in hat man also keinen Einblick, wie viel Wasser oder Emissionen eine KOI–Jeans einspart. KOI sendet auf Nachfrage eine Excel-Liste mit dem Wasserverbrauch der einzelnen Jeanshosen, sowie Testberichte ihrer Lieferanten. Laut dieser Liste betrage der durchschnittliche Wasserverbrauch einer Jeans der Frühling-Sommer-Kollektion 2022 etwa 28 Liter. Auf Nachfrage erklärt KOI, dass man die Zahl nicht im Bericht kommuniziere, da sie nicht “für die komplette Jeans” gelte. Wie viel Wasser die Jeans während der gesamten Produktion verbraucht, weiß KOI also offenbar selbst nicht so genau.
Wie fair ist die Kings Of Indigo Jeans?
Tony Tonnaer ist damals nicht nur angetreten, um Wasser und andere Ressourcen zu sparen, sondern auch, um eine besonders faire Jeans zu produzieren. Eines der Ziele des Unternehmens lautete daher: Bis 2020 existenzsichernde Löhnen in allen Produktionsstätten in Hochrisikoländern einführen. Schon kurz nach der Gründung wurde Kings Of Indigo Mitglied der Fair Wear Foundation. Eine gemeinnützige Organisation, die unabhängige Audits in Bekleidungsfabriken durchführt und die Prüfberichte selbstständig veröffentlicht. 2017 stufte die Organisation KOI jedoch von der Kategorie „gut“ zu “verbesserungswürdig” herab, von vier Kategorien die zweitschlechteste. Wieso? KOI sei nicht in der Lage gewesen, seine Produktionsstandorte ausreichend zu überwachen. Sie arbeiteten mit einem Zwischenlieferanten in Tunesien zusammen und hätten keinen Überblick über die Unterlieferanten gehabt. 2022 ist KOI dann aus der Fair Wear Foundation ausgetreten und lässt nun Audits vom CSR-Beratungsunternehmen MOST CSR durchführen. Da man sich nun auf eine „ganzheitliche Strategie” fokussiere, sei man nicht mehr Teil der Fair Wear Foundation, erklärt die CSR-Managerin Nikki Bosboom: „Aber wir senken definitiv nicht unsere Standards.” Das Ziel, existenzsichernde Löhne in allen Produktionsstätten in Hochrisikoländern einzuführen, habe Kings Of Indigo nicht erreicht.