Was ist das Problem?

Wer an die italienische Mafia denkt, denkt an Waffen, Gewalt und Drogen. Wein, Tomaten und Orangen würden den meisten Menschen wohl nicht als erstes in den Sinn kommen. Und doch ist die Landwirtschaft in den vergangenen Jahren eine wichtige Geschäftssäule der italienischen Mafia-Clans geworden.

Das liegt daran, dass sie im Lebensmittelsektor zunehmend aktiver geworden sind. Um Geld zu waschen, haben die Kriminellen günstig Land und von der Pleite bedrohte Unternehmen gekauft. Heute sind sie in allen Abschnitten der Lieferkette vertreten: Vom Acker über das Logistikunternehmen bis hin zum Supermarkt. Laut einem Bericht der Beobachtungsstelle Agromafia (auf italienisch) setzten sie jährlich mindestens 24,5 Milliarden Euro um. Das entspricht etwa zehn Prozent des gesamten kriminellen Umsatzes in Italien.

Die Größenordnung zeigt, dass die sogenannte Agromafia im ganzen Land präsent ist. Doch im infrastrukturschwachen Süden ist ihre Präsenz besonders bedrohlich. Hier übernimmt die Mafia teils die Rolle des Staates und kauft sich das Wohlwollen der Bevölkerung, indem sie sich kümmert – Bildung ermöglicht, medizinische Eingriffe bezahlt oder direkt Geld „schenkt“.

Was kann man da machen?

Eine Idee, um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, stammt aus dem Jahr 1994: Damals schlug der sozial engagierte Pater Luigi Ciotti vor, dass der Staat von der Mafia konfiszierte Güter dem Allgemeinwohl zur Verfügung stellen sollte. So würde nicht nur die Mafia bekämpft, sondern der Staat zugleich sein Image verbessern. Ciotti sammelte über eine Millionen Unterschriften für sein Anliegen, das 1996 zu einem Gesetz wurde.

Zeitgleich gründete er den Verband Libera. Die Idee: „Ein Kartell von Vereinen, das gegen die Mafia kämpft“. Heute versammelt die Dachorganisation über 1.600 Unternehmen, Vereine, Gruppen und Aktivisten, die sich im Kampf gegen die Mafia engagieren. Darunter sind auch landwirtschaftliche Kooperativen, die auf Land, das einst der Mafia gehörte, regionale Spezialitäten mit Bio-Siegel anbauen und sie unter der Marke Libera Terra weltweit verkaufen.

„Wir wollen im Kleinen etwas verändern, um den Menschen Mut zu machen und ihnen zu zeigen, dass nicht alles gleich bleiben muss und eine legale, gesunde Wirtschaft Vorteile für alle bringt,“ erklärt Valentina Fiore, 42, seit sechs Jahren Geschäftsführerin von Libera Terra im Gespräch mit Flip.

»Unser Ziel ist, dass die Bevölkerung nach ein paar Jahren sagt: Ein Glück, dass der Staat das Land konfisziert hat.« Valentina Fiore

Und funktioniert das auch?

Kurz gesagt: Ja. Vor den Toren Palermos baut eine Libera Terra-Kooperative nun Wein an, ein paar Kilometer weiter, bei Corleone, produziert eine andere Pasta und nördlich von Neapel stellt eine dritte Büffel-Mozzarella her – alles auf Ländereien, die einst in den Händen der Mafia waren. Die erste Kooperative entstand 2002. Mittlerweile gibt es verteilt auf die Regionen Sizilien, Kalabrien, Apulien und Kampanien neun Kooperativen, die 150 bis 160 Arbeitsplätze geschaffen haben – legal und sicher.

Flip-Autorin Virginia Kirst, die in Rom lebt und arbeitet, hat mit Valentina Fiore gesprochen, der Geschäftsführerin von Libera Terra.

Virginia Kirst (oben links) im Video-Call übers Smartphone mit Valentina Fiore von Libera Terra

Hier ein paar Punkte, die wir wichtig finden:

1. Unabhängige Kooperativen

Erstmal ist wichtig zu wissen, dass die Kooperativen nicht dem Verband gehören, sondern unabhängig geführt werden. Libera hilft den Unternehmer:innen lediglich, das konfiszierte Land vom Staat zu erhalten und darauf ein Geschäft aufzubauen. Dabei unterstützen Expert:innen aus den verschiedensten Bereichen die Neuunternehmer:innen. Um ihr Öl, ihre Marmelade oder ihre Kekse anschließend unter dem geschützten Markennamen verkaufen zu dürfen, lassen die Kooperativen ihre Unternehmensstruktur und Qualität regelmäßig von Libera kontrollieren. „Erkennen wir Unregelmäßigkeiten, unterstützen wir die Unternehmer:innen dabei, nachzubessern,“ sagt Fiore.

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