Was ist das Problem?
Bei Sportarten, die der Umwelt schaden, denkt man vielleicht an Autorennen oder Sportfliegen, eher nicht ans Joggen. Doch was diesen Sport schmutzig machen kann, ist die Kleidung. Laufhosen, T-Shirts und Sportjacken bestehen meist aus Kunststofffasern wie Polyester oder Polyamid, weil diese besonders leicht sind und schnell trocknen, strapazierfähig und wasserabweisend sein können. Das ist gut fürs Laufen, aber schlecht für die Umwelt und für die eigene Gesundheit. Denn die Fasern basieren nicht nur auf Erdöl, sie werden bei der Herstellung meist auch mit gesundheits- und umweltgefährdenden Chemikalien behandelt. Was im Textil ist, landet dann zwangsläufig irgendwann auch im Abwasser. Zusammen mit winzig kleinen Fasern lösen sich die Chemikalien beim Waschen und landen in der Umwelt. Das Umweltbundesamt schätzt, dass in Deutschland durch Kleidung jedes Jahr 80 bis 400 Tonnen Mikropartikel freigesetzt werden. Auch ganz am Ende des Lebenszyklusses ist mit einem Sportshirt aus Polyester nicht mehr viel anzufangen. In der Regel wird es entweder verbrannt oder landet auf einer Mülldeponie. Dort kann es über 200 Jahre dauern, bis es zersetzt wird.
Was ist der Ansatz von Runamics?
Steffen Otten geht gerne joggen. Aber als der 37-Jährige vor ein paar Jahren ein Video des Weltwirtschaftsforums gesehen hatte, das vor den Auswirkungen von Mikroplastik durch synthetische Textilien warnte, fing das schlechte Gewissen an mitzulaufen. „Ich wollte nicht mehr dieses ungute Gefühl beim Sport haben”, erinnert sich Otten:
»Richte ich mit den Sportklamotten jetzt einen Schaden an, bei mir selbst oder der Umwelt?«
Steffen Otten, Runamics
Weil er keine Sportkleidung fand, bei der er kein schlechtes Gewissen haben musste, beschloss er, selbst welche zu entwickeln. Als Marketingberater hatte Otten aber wenig Ahnung von Textilien. Also besuchte er Messen, sprach mit Herstellern und Wissenschaftler:innen. Das Ziel: Laufbekleidung zu produzieren, die nie zu Müll wird.
Die Idee hat Otten vom “Cradle-to-Cradle”-Konzept (C2C) des deutschen Chemikers Michael Braungart und des amerikanischen Architekten William McDonough übernommen: Kostbare Ressourcen werden nicht verschwendet, sondern nach Ende des “Lebenszyklus” des Kleidungsstücks wiederverwendet – und dann recycelt. Der Kreislauf soll geschlossen werden. 2019 startete Otten eine Crowdfundingkampagne und gründete “Runamics“, die erste Sportmarke nach dem “Cradle-to-Cradle”-Ansatz. Dafür holte er sich neben seinem Mitgründer Henning Heide die Hamburger Designerin Lena Rix ins Team.

2020 verschickten Otten und sein Team dann die ersten Runamics Kleidungsstücke. Damals ließen sie erst mal nur 600 T-Shirts und dazu passende Hosen herstellen. Mittlerweile bedient Runamics über 7000 Kund:innen und auch das Sortiment ist größer geworden: Fleecewesten, Sweater, Tanktops, lange und kurze Laufhosen, die zwischen 50 und 100 Euro kosten. Runamics mache derzeit einen sechsstelligen Umsatz, so Otten.
Wie wird die Kleidung produziert?
Runamics sei „umweltsicher”, wie Otten sagt. Das heißt, die Kleidung besteht aus Materialien, die der Umwelt nicht schaden, falls sie etwa auf einer der vielen illegalen Müllhalden in Afrika landet, wo unsere alten Klamotten oft enden. Konkret heißt das: Runamics setzt auf bio-zertifizierte Naturfasern wie Baumwolle oder Merinowolle. Chemiefasern wie Elasthan und Polyamid kommen auch zum Einsatz, doch Runamics verwendet dabei ausschließlich biologisch abbaubare Kunstfasern. Diese lassen sich unter bestimmten Bedingungen durch Mikroorganismen zersetzen, so dass beim Abbau nichts als CO2 und Wasser zurückbleibt. Ein Prozess, der ähnlich wie eine Kompostierung funktioniert. Außerdem verzichten er und sein Team bei den Cradle-to-Cradle-zertifizierten Kleidungsstücken auf sämtliche umwelt- und gesundheitsschädliche Chemikalien.
Ottens Laufkleidung soll nicht nur gut für die Umwelt und die Träger:innen sein, sondern auch für die Menschen, die sie produzieren. In Indien etwa wird die Baumwolle von einem Produzenten angebaut, der eine kontrollierte Wertschöpfungskette nach dem Fairtrade-Textilstandard aufgebaut hat. Das heißt: Alle beteiligten Unternehmen verpflichten sich, den Mitarbeitenden existenzsichernde Löhne zu zahlen. In Polen haben Otten und sein Team eine kleine Näherei gefunden, die sich auf den Cradle-to-Cradle-Ansatz eingelassen hat. Sie muss alle Arbeitsverträge offenlegen und sich mit dem Gehalt an den existenzsichernden Lohn in Polen anpassen. Wo genau Runamics welche Produkte produzieren lässt, legt das Unternehmen hier offen.
Wie langlebig sind die Kleidungsstücke?
Otten will für die Kleidung verantwortlich bleiben, auch nach dem Verkauf. Damit sie möglichst lange getragen wird, bietet Runamics seinen Kund:innen einen Reparaturservice an. Dort werden die Klamotten hingeschickt, gesammelt und dann an eine Änderungsschneiderei in Hamburg weitergegeben. Der Service ist für die Kund:innen kostenlos, nur den Versand zahlen sie selbst.
»Das ist nicht bloß ein Service, sondern auch eine Art Erinnerung, um den Menschen ins Gedächtnis zu rufen, dass Textilien repariert werden können«
Steffen Otten, Runamics
Es seien nur sehr wenige Reparaturfälle pro Monat, dennoch wolle man den Kund:innen diesen Service anbieten, so Otten.
Wenn die Laufhosen und Shirts nicht mehr repariert werden können, soll ihnen ein „zweites Leben“ geschenkt werden. Auf der Packung und auf dem Schild der Cradle-to-Cradle-Kleidungsstücke bittet Otten seine Kund:innen, die Kleidung zurückzuschicken, wenn sie sie nicht mehr tragen. Im Tausch erhalten sie 15 Prozent Rabatt auf ein neues Kleidungsstück. Für die Verwertung der alten Textilien hat sich Runamics mit einem Unternehmen zusammengetan, das “Faser-zu-Faser-Recycling” macht, also Recycling-Garne aus den Fasern ausrangierter Kleidung herstellt. Aktuell werden die Textilien gesammelt, man brauche aber eine gewisse Grundmenge – mindestens eine Tonne an Ware – um den Recycling-Prozess anzuschieben, erklärt Otten. Falls die Kleidung weder repariert noch wiederverwendet werden kann, sollen die Cradle-to-Cradle Kleidungsstücke in einem industriellen Kompostierwerk verrotten.
So funktioniert die C2C-Zertifizierung
Ob Otten und sein Team einhalten, was sie versprechen und wie kreislauffähig die Runamics-Produkte sind, wird von der EPEA GmbH in Hamburg überprüft. Das Institut wurde vom Erfinder des Cradle-to-Cradle-Konzepts, Michael Braungart, gegründet. Jedes Produkt, das Runamics als kreislauffähig bezeichnen will, muss einzeln zertifiziert werden. Der Prozess kann bis zu einem Jahr dauern. Denn jeder Aspekt – von der Materialgesundheit, Kreislauffähigkeit, Sozialstandards in der Produktion über Wasser und Energieverbrauch – wird überprüft und mit Bronze, Silber, Gold oder Platin bewertet. Die Gesamtbewertung des Produkts richtet sich immer nach der niedrigsten Bewertung: Sollte also zum Beispiel die Materialgesundheit mit Gold bewertet sein, aber der Energieverbrauch nur mit Silber, erhält das ganze Produkt nur Silber.
Bisher haben ungefähr die Hälfte aller Runamics-Produkte ein solches Zertifikat erhalten: die Sweater Track Pans, Laufhosen und Laufshirts, Handtücher und eine Handylauftasche. Langfristig wollen Otten und sein Team alle Produkte zertifizieren lassen. „Rüberbringen“ sagt er dazu. Auf die bessere Seite der Textilbranche.
Das sagt die Expertin für Kreislaufwirtschaft
Burcu Gözet forscht in der Abteilung Kreislaufwirtschaft am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie. Sie kritisiert die mangelnde Umsetzung der Kreislaufwirtschaft in der Textilbranche. „Runamics ist da schon sehr weit“, sagt Gözet. Die Marke verspreche nichts, was sie nicht einhalten könne.
»Die Umsetzung der Kreislaufwirtschaft ist in der Textilbranche noch nicht besonders ausgereift.«
Burcu Gözet, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie
Besonders wichtig findet Gözet, dass Runamics für seine Produkte verantwortlich bleibt und die Kunden sogar dazu auffordert, die Kleidungsstücke wieder zurückzuschicken. „Das sollte wirklich Standard in der Branche sein“, sagt Gözet. Einzig den kostenlosen Versand und Rückversand sieht die Wissenschaftlerin kritisch: „Das kurbelt natürlich den Konsum und die Retoure an.“
Ideal wäre laut Gözet, wenn die Kleidung, die zurückgeschickt werde, auch wirklich wieder in die Produktion von neuer Runamics Laufkleidung einfließe. Aus der Laufkleidung würde also wieder neues Garn gesponnen und daraus neue Kleidung hergestellt. Bisher verwende Runamics hauptsächlich nicht recycelte, frische Rohstoffe.
Genau so ein T-Shirt hat Runamics im Sommer im Rahmen einer Crowdfunding-Kampagne vorgestellt. Das “PYONEER Sport T-Shirt” besteht aus nur einem einzigen Material und soll am Ende des Tragens wieder in ein neues Runamics-Shirt verarbeitet werden. Es wird aktuell in Zusammenarbeit mit einem Schweizer Recyclingunternehmen hergestellt und ist online vorbestellbar. Otten geht davon aus, dass die Shirts noch dieses Jahr fertiggestellt und ausgeliefert werden können.

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Mit seinem Kreislaufansatz und den strengen Kontrollen durch Zertifizierungsunternehmen geht die Marke Runamics die großen Probleme der Sportbekleidung an: Müll, Mikroplastik und schädliche Chemikalien. Indem Runamics seine Kund:innen dazu auffordert, die Kleidung nach dem Tragen wieder zurückzuschicken, bleibt die Marke nicht nur für die Rohstoffe und deren Wiederverwertung oder Verwendung verantwortlich, sondern schafft auch ein Bewusstsein für den Kreislaufgedanken. Bisher haben erst die Hälfte der Runamics-Produkte ein Cradle-to-Cradle-Zertifikat erhalten, aber langfristig plant das Unternehmen, alle zertifizieren zu lassen. Von der Flip-Redaktion gibt es eine Empfehlung.
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