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Diese Recherche wurde in Zusammenarbeit mit dem ZDF veröffentlicht. In der Pilotfolge des neuen Formats „Greenwashed?“ geht es um einen Adidas-Schuh, der Meeresplastik enthält und um die Frage, was das bringt. Die Doku könnt ihr euch hier ansehen.

Mitte März war es wieder soweit. Wie vor jedem großen Turnier stellten Adidas und der Deutsche Fußballbund (DFB) ein neues Nationaltrikot vor, diesmal für die Heim-EM der Männer. Was Fans und Medien danach tagelang umtrieb, war das ungewöhnliche, knallpinke Auswärtstrikot. Die Aufregung hatte Adidas bereits antizipiert. In einem vorbereiteten Video zum pinken Trikot arbeiten sich Nationalspieler an der Frage ab, was denn heute eigentlich typisch deutsch sei. Die Geschichte, die das neue Nationaltrikot erzählen soll, ist die eines bunten, diversen und coolen Deutschlands. Der Marketing-Kniff funktionierte: Der Clip ging viral. Das Trikot ist schon jetzt – Wochen vor Beginn der EM – ein Verkaufsschlager. 

Dann, am Abend des 21. März, gab der DFB überraschend bekannt, dass er den Ausrüster wechselt. Ab 2027 soll nicht mehr Adidas aus dem mittelfränkischen Herzogenaurach das Nationalteam ausstatten, sondern das US-Unternehmen Nike. Die Empörung war groß. Sogar Wirtschaftsminister Robert Habeck mischte sich ein, er hätte sich “ein Stück mehr Standortpatriotismus” vom DFB gewünscht. 

Was in dem ganzen Wirbel aber völlig untergegangen ist: Was steckt eigentlich drin im neuen Nationaltrikot? Und warum erzählt es plötzlich die Geschichte eines neuen deutschen Nationalbewusstseins statt – wie noch vor zwei Jahren zur WM – eine von Nachhaltigkeit und Meeresplastik? Wir haben nachgeforscht.

Warum interessiert uns das?

Vielleicht erinnert ihr Euch: Vor der Fußball-WM in Katar 2022 haben wir uns gemeinsam mit der ZEIT bereits intensiv mit dem Nationaltrikot beschäftigt. Das Nationaltrikot, dieses “Heiligtum”, sollte, so erzählte es Adidas-Chefdesigner Jürgen Rank damals, vor allem für eine Sache stehen. Für Nachhaltigkeit. Der Anspruch von Rank lautete: “Auch ein Trikot kann helfen, die Welt zu verbessern.”

Und so warb Adidas damals offensiv damit, dass eine Version der Trikots, die auch die Profis auf dem Platz tragen, sogenanntes Ozeanplastik enthalte: “MADE WITH PARLEY OCEAN PLASTIC – END PLASTIC WASTE” war auf den Halsausschnitt gedruckt. Daneben ein QR-Code, der auf die Webseite von Adidas führte. Dort spielte ein Video im Loop: Meereswellen rauschen gegen einen Felsen, die Kamera rast über einen Strand, überall sieht man Plastikmüll. Dieser Müll, so suggerierte die Kampagne, werde von der Umweltschutzorganisation Parley for the Oceans gesammelt, sortiert, zu Garn recycelt und schließlich im Profi-Trikot verarbeitet. 

Zusammen mit der ZEIT konnte Flip auf Basis interner Dokumente jedoch nachweisen, dass ein Großteil des Ozeanplastiks, das Adidas für seine Textilien verwendet, gar nicht von Parley-Sammelaktionen in Ländern wie den Malediven stammt. Der Anteil, den Parley liefert, lag laut den Dokumenten nur bei etwa 20 Prozent. Die restlichen 80 Prozent stammten demnach aus Ländern, von denen in den Werbevideos rund ums Nationaltrikot nie die Rede war, aus einer zweiten Lieferkette, die Adidas in Thailand und auf den Philippinen selbst organisierte. In den Dokumenten wurden sie als “Volume Countries” bezeichnet. Als Masse-Länder.

Cyrill Gutsch, Gründer und CEO von Parley, wusste davon offenbar nichts. Thailand und die Philippinen? “Das sind nicht die Informationen, die ich bekommen habe”, sagte er uns damals. Er sei ziemlich geschockt. In keinem der beiden Länder sammle seine Organisation Plastikmüll für die Textilherstellung. Fragte man ihn nach dem Grund dafür, sagte er nur: “Der informelle Sektor ist dort ein großes Problem.” Gemeint ist der nicht regulierte Teil des Arbeitsmarkts, in dem es keine rechtliche oder soziale Absicherung gibt und es oft zu Ausbeutung und Kinderarbeit kommt.

Tatsächlich ist Kinderarbeit etwa auf den Philippinen verbreitet. Auch in der Lieferkette von Adidas? Unsere Reporter:innen haben damals vor Ort recherchiert. Ein Müllhändler, der seine Flaschen an ein Recycling-Center lieferte, das sie dann an Adidas verkaufte, sagte uns: “Natürlich gibt es hier in unserer Gegend Kinderarbeit.” Adidas wiederum teilte uns mit, man dulde keine Kinderarbeit und habe bei Überprüfungen auch keine Anzeichen dafür feststellen können.

Zurück blieben viele Fragezeichen. Zumal Adidas auch noch mitteilte, dass der Plastikabfall für das Nationaltrikot ausschließlich in Thailand gesammelt würde. Dort aber war Parley laut Gutsch ja gar nicht operativ tätig. Das wiederum würde bedeuten: In dem Trikot, in dessen Halsausschnitt “Made with Parley Ocean Plastic” stand, war gar kein Parley-Plastik drin. Gutsch sagte uns damals: “Wenn sich die Vorwürfe bewahrheiten, muss ich auf dem Rücktritt der verantwortlichen Führungskräfte bei Adidas bestehen, um die Partnerschaft weiterzuführen.”

Was ist danach passiert?

Nach Veröffentlichung unserer Recherche gab es zwischen Adidas und Parley Klärungsbedarf, schließlich hatte man sich auf offener Bühne gefetzt. Gutsch flog aus New York, wo er lebt, nach Herzogenaurach, um “die erhobenen Vorwürfe mit der Adidas-Führungsebene zu adressieren”, wie er uns schrieb. Was genau besprochen wurde, wollen weder Gutsch noch Adidas mitteilen. Der Streit aber wurde wohl nicht beigelegt. Wenn man die langjährigen Partner heute dazu befragt, drängt sich jedenfalls der Eindruck auf, man hätte es mit einem zerstrittenen Ehepaar zu tun. Ihre beiden Versionen der Geschichte passen nicht zusammen.

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