Auf einen Blick
Idee: Was genau in ihren Sneakern drinsteckt, ist den Machern von N’go nicht das Wichtigste. Sie wollen vor allem die Lebensumstände von Arbeiterinnen und ihren Kindern in Vietnam verbessern. Nachhaltig heißt für N’go also vor allem, dass ihre Sneaker sozial verträglich sind.
Impact: N’go achtet darauf, die Frauen in den Partner-Kooperativen auch wirklich sinnvoll zu unterstützen. Sie sollen selbstbestimmt und unabhängig arbeiten und auch die Bezahlung weitgehend selbst festlegen. Das Urteil von Expertin Lavinia Muth: Da sei zwar noch Luft nach oben, aber N’go helfe den Frauen in Vietnam definitiv. Ökologisch setzt N’go vor allem auf Langlebigkeit und fertigt die Sneaker aus Leder.
Glaubwürdigkeit: N’go gibt offen an, was das Unternehmen bereits erreicht hat und was noch nicht. Innerhalb kürzester Zeit schickt es Belege, Zertifikate und Nachweise. Klar ist: N’go ist noch nicht überall perfekt, tut aber auch nicht so.
Was ist die Mission des Unternehmens?
Die Geschichte von N’go beginnt mit zwei Schulfreunden auf Reisen. Die Franzosen Ronan Collin und Kevin Gougeon reisen nach dem Schulabschluss nach Peru, arbeiten dort für eine NGO und merken: Sie wollen mit ihrem Leben etwas Sinnvolles anfangen. Doch danach rutschen sie erst einmal in das Hamsterrad der Leistungsgesellschaft: Der eine, Gougeon, studiert Rechnungswesen. Der andere, Collin, schlägt mit Recht und Politikwissenschaften den Weg der Anzug-Schickeria ein. Nach und nach merken sie, dass es ihnen vor einer Zukunft im Großraumbüro graut, erzählt Collin heute. 2017 plaudern die beiden dann über den Traum eines gemeinsamen humanitären Projekts. Fünf Tage nach ihrer Unterhaltung bucht Collin einen Flug nach Vietnam.
Dort merkt er, dass die vielen Minderheiten im Land teilweise stark benachteiligt sind. Er beschließt: Er will ihnen helfen. Allerdings nicht mit einem humanitären Projekt, sondern mit einem Unternehmen. Durch die Beschäftigung bei N’go sollen sie die Möglichkeit bekommen, langfristig ein Einkommen generieren. Welches Produkt dabei hergestellt wird, war Collin eigentlich egal. „Wenn ich Tische verkaufen müsste, um ethnischen Minderheiten zu helfen, dann würde ich das tun”, sagt Collin. Letztlich wurden es nicht Tische, sondern „Sneaker mit ethisch-sozialem Fußabdruck”.

N’go, das „Social Sneaker Startup aus Frankreich” , verkauft heute zwischen 15.000 und 30.000 Paar Schuhe pro Jahr. Unter Nachhaltigkeit, kritisiert Collin, verstehe man meist nur, dass etwas die Umwelt möglichst wenig belaste. Die sozialen Aspekte werden seiner Ansicht nach oft vernachlässigt. Im zwölfseitigen Antwortschreiben von N’go heißt es deshalb, unter einem nachhaltigen Sneaker verstehe man einen, der „in einer respektablen Fabrik hergestellt wird, von Arbeiterinnen, die gute Arbeitsbedingungen und ein gutes Einkommen haben, und der so konzipiert ist, dass er die Umwelt trotzdem so wenig wie möglich belastet.”
Funktioniert das auch?
Im Gespräch mit Flip-Autorin Hannah Purner erzählt Ronan Collin genauestens, was das Unternehmen bereits erreicht hat – und was noch nicht. Auf unsere Fragen schickt Ronan Collin ein umfassendes, zwölfseitiges Antwortschreiben und beantwortet Fragen, die wir noch nicht mal gestellt haben. Auch eingeforderte Belege schickt er innerhalb kürzester Zeit per E-Mail. Man merkt, dass es ihm mit seiner Mission, mit N’go etwas zu verändern, ziemlich ernst ist. Aber kann N’go seine Kernversprechen auch einhalten?

Wie sozial sind die Sneaker von N'go?
Laut eigenen Angaben bietet N’go rund 40 Frauen vietnamesischer Minderheiten aus drei Kooperativen in den Provinzen Nghe An, Hoa Binh and Dien Bien einen Arbeitsplatz und somit ein zusätzliches Einkommen. Außerdem finanziert N’Go nach eigenen Angaben den Bau und die Instandhaltung von Grundschulen im Land mit zwei Prozent des jährlichen Jahresumsatzes. Man habe in fünf Jahren bereits fünf Schulen in Nordvietnam finanziert, sagt Gründer Ronan Collin. Das hätte dabei geholfen, rund 300 Kindern eine Schulbildung zu ermöglichen.
Angehörige der zahlreichen Minderheiten des Landes würden oft soziale Ausgrenzung, etwa vom Arbeitsmarkt erleben, erzählt Collin. Tatsächlich gibt es eine Studie der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die besagt, dass rund 61 Prozent der erwerbstätigen Weltbevölkerung aus dem informellen Sektor kommen. Das heißt: „Diese Menschen nehmen nicht am System teil. Sie zahlen keine Steuern, bekommen umgekehrt aber auch keine Form der Unterstützung”, erklärt Lavinia Muth, selbstständige Referentin, Mentorin und Beraterin für ethische Geschäftspraktiken und soziale Gerechtigkeit. Die meisten tun dies nicht freiwillig, sondern als Folge spärlicher Möglichkeiten, ihren Lebensunterhalt anders zu verdienen.
Wie sieht es mit den Frauen der Kooperativen aus? N’go-Gründer Collin vertraut darauf, dass die Handwerkerinnen versichert sind und Steuern zahlen. Man habe zu Beginn der Zusammenarbeit danach gefragt. Konkrete Nachweise habe er nicht gefordert, er könne dies ohnehin nicht weiter prüfen. Es ist also nicht bestätigt, ob die Frauen der Kooperativen wirklich am System teilnehmen. Doch Muth sagt: „Es kann schon sein, dass sie aus dem informellen Sektor kommen. Aber wenn sie dadurch gewisse Freiheiten haben und ihr Leben dadurch beispielsweise selbst gestalten können, dann haben sie mehr davon als von dem nicht funktionierenden Sozialsystem des Landes”. Wichtiger sei festzustellen, wie die Kooperation mit N’go direkt das Leben der Weberinnen verbessert.

Die traditionellen Handarbeiterinnen, die für N’go tätig sind, weben mit einer Mischung aus Baumwolle und Polyester die gemusterten Teile auf der Seite der Sneaker. Dafür werden sie laut Collin pro Meter Stoff bezahlt. N’go teile allen drei Kooperativen das Bestellvolumen mit. Welche der drei wie viel davon webt, koordinieren sie selbst, erzählt der Gründer. Laut Angaben des Unternehmens legen die Weberinnen die Preise basierend auf Design, Materialverbrauch und Lebenserhaltungskosten selbst fest. Collin bekräftigt, bisher immer die geforderten Preise bezahlt zu haben. „Wenn N’go das wirklich macht, dann Applaus”, sagt Muth. Sie warnt aber auch: Ein sozial nachhaltiges Unternehmen müsse langfristig denken und dürfe keine direkten Abhängigkeiten schaffen. Es kommt also nicht nur darauf an, dass N’go die Arbeiterinnen fair bezahlt – sondern auch darauf, dass sie eine verlässliche Einkommensquelle für sie schaffen.
Darüber hat sich Collin ebenfalls Gedanken gemacht. Im Interview erzählt er, N’go habe trotz unklarer Zukunftsaussichten auch während der Pandemie weiterhin Bestellungen getätigt. Doch man habe auch den Druck großer Verantwortung gespürt und wolle nun dabei helfen, die Einkommensquellen der Frauen und ihrer Dörfer zu erweitern. Dadurch sollen sie weniger abhängig von N’go werden. Damit das klappt, arbeitet N’go mit dem asiatischen Marktforschungsinstitut Source of Asia zusammen. Gemeinsam mit der Bevölkerung sollen Möglichkeiten besprochen werden. Auch Muth bekräftigt die Einbindung der Dorfbewohner:innen: „Sie selbst sollen entscheiden, wo Geld hinfließt und wo Unterstützung gebraucht wird.”
Um messbar zu machen, welche Auswirkungen seine Geschäftstätigkeit heute bereits für die Handwerkerinnen in Vietnam hat, hat N’go 2019 eine Untersuchung durchgeführt. Diese sei laut Collin durch Unterstützung der französischen Plattform Impact Track entstanden. Per E-Mail erhalten wir eine Zusammenfassung davon, ein Siegel oder Logo von Impact Track können wir dort allerdings nicht erkennen. Laut N’Go Gründer Collin liege das daran, dass sie zu Anfang eine Art “Beta-Tester” für Impact Track waren, die Plattform aber inzwischen eine jährliche Gebühr fordere. Diese wolle man nicht bezahlen, da man andere Prioritäten habe. Expertin Lavinia Muth lobt dennoch die Transparenz des Unternehmens über Ziele sowie bisherige und noch offene Erfolge. „Transparenz ist von Dauer”, meint sie, „das gehört einfach zum guten Ton dazu, insbesondere, wenn ein Unternehmen in der Kommunikation gezielt und ausschließlich auf Nachhaltigkeit oder in diesem Fall auf soziale Gerechtigkeit setzt.”

Die Geschichte von N’go zeigt: Die Welt der fairen Arbeitsbedingungen ist komplex. Wie fair etwas ist, hängt immer davon ab, aus welcher Sicht man auf die Situation blickt: aus europäischer oder der des jeweiligen Landes. Und ob die Arbeitsbedingungen, so gut sie klingen mögen, vor Ort auch eingehalten werden, ist kaum nachvollziehbar. Expertin Lavinia Muth wagt dennoch ein kleines Fazit: Collins Intentionen, erklärt sie, wirken durchdacht, doch würden sie mehr Unterstützung externer Expert:innen erfordern. Es bestünde zwar deutlich Luft nach oben, dennoch ist Muth überzeugt: N’go hat positive Auswirkungen vor Ort, insbesondere für die Frauenkooperativen.
Und wie umweltfreundlich sind die Sneaker von N’go?
Zu Beginn wollten die beiden Gründer einen Schuh komplett aus natürlichen Rohstoffen herstellen. Etwas gutgläubig, schmunzelt Collin heute. Denn weiter als bis zum ersten Prototyp kam es nie: Keines der gewählten Materialien erreichte den selbst auferlegten Haltbarkeitsstandard. „Wenn wir eine nachhaltige Marke sein wollen, ist es unsere erste Priorität, langlebige Schuhe herzustellen”, sagt Collin . Robert Groten, Professor für Technische Textilien an der Hochschule Niederrhein, findet diesen Ansatz grundsätzlich gut: „Eines steht besonders in der Modeindustrie ganz oben: Wir müssen die Nutzungsdauer der Produkte erhöhen”, sagt er.
Für den Hauptteil des Sneakersortiments verwendet N’go daher Leder, ein Material, das als besonders langlebig gilt. Aber ist es auch umweltfreundlich? Bei der Gerbung von Leder kommen teilweise Chemikalien wie zum Beispiel Chromsalze zum Einsatz, die unter Umständen gesundheits- und umweltschädlich sind . Deswegen verspricht N’go, nur Leder zu verwenden, welches chromfrei in Vietnam gegerbt wurde und mit dem Gold Standard der Leather Working Group (LWG) ausgezeichnet ist. Dieser soll die Erfüllung globaler Nachhaltigkeitskriterien in der Lederherstellung garantieren . Beim Leder selbst handelt es sich nach Angaben von N’go-Gründer Collin ausschließlich um Schlachtabfälle aus deutschen Schlachthäusern. Für die Ressourchen, die bei der Haltung der Tiere und beim Anbau der Futtermittel verbraucht werden, ist N’go somit nur indirekt verantwortlich.
15,6 kg CO2: So groß ist der ökologische Fußadruck der N'go Sneaker - ein durchschnittliches Ergebnis.
Der CO2-Fußabdruck der N’go-Sneaker ist dennoch vermutlich nicht viel besser als der eines herkömmlichen Sneakers. Im Jahr 2019 erstellte N’go mit Hilfe der französischen Plattform Toovalu erstmalig eine Lebenszyklusanalyse seiner Sneaker. Diese ergab eine CO2-Bilanz von 15,6 Kilogramm pro Paar . Der CO2-Fußabdruck eines herkömmlichen Sneakers liegt laut einer Studie des Massachusetts Institute of Technology ungefähr zwischen 18 und 41 Kilogramm CO213.
Lederalternativen aus nachwachsenden Rohstoffen, die einen geringeren CO2-Fußabdruck haben, kommen für Collin allerdings nicht in Frage. „Sie sind unglaublich schwer zu recyceln”, sagt Collin, “und bis wir ein besseres Material finden, setzen wir weiterhin auf Leder.” Kaputte Sneaker können seit 2021 an N’go zurückgeschickt werden. Das Unternehmen arbeitet mit der holländischen Firma Fast Feet Grinded zusammen, um zukünftig ein komplettes Recycling zu ermöglichen. Dies konnte bisher noch nicht umgesetzt werden, daher sammelt und verstaut N’go alle zurückgeschickten Paare vorerst.
Als große Herausforderung sieht N’go das Finden einer Balance zwischen Haltbarkeit und der Verwendung umweltfreundlicher Materialien. Viele davon seien in Vietnam schlicht nicht zu finden, sagt Collin. Die Sneaker mit der geringsten Umweltwirkung hat N’o also wohl eher nicht. Dennoch macht N’go in puncto Nachhaltigkeit schon Einiges richtig. Und der Fokus des Unternehmens liegt ohnehin woanders: „Wir konzentrieren uns darauf, 100 Prozent sozial und nicht 100 Prozent nachhaltig zu sein”.
Transparenzhinweis: Zum Zeitpunkt der ersten Veröffentlichung fehlte in der damaligen Version des Textes noch die Information, dass N’go auch mehrere Schulen in Vietnam finanziert hat. Die Information war im Produktionsprozess verloren gegangen und ist nun wieder eingefügt worden.
So habt ihr abgestimmt
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Wir recherchieren, Ihr stimmt ab: Der Flip-Score misst die Qualität von Ideen für eine bessere Wirtschaft. Er bildet den Schnitt Eurer Votings auf einer Skala von 1-10.
Wie wir recherchieren
Für unsere Marken-Checks führen wir eine sorgfältige journalistische Recherche durch. Dafür sprechen wir mit den Macher:innen und unabhängigen Expert:innen. Wir lesen Studien, sichten Zertifikate und fragen kritisch nach. Im Zweifel recherchieren wir wochenlang. Was wir nicht machen, sind klassische Produkttests. Wir führen weder Qualitätskontrollen noch Laboruntersuchungen einzelner Produkte durch. Im Fokus stehen bei uns vielmehr die Nachhaltigkeitsaussagen und grünen Werbebotschaften der Marken. Wir messen sie also vor allem an dem, was sie selbst versprechen. Dabei schauen wir uns die jeweilige Kernidee der Marke an, untersuchen ihr Potenzial für positive Veränderung und prüfen, ob ihre Versprechen faktisch belegt sind. So wollen wir Greenwashing entlarven – und zeigen, was wirklich hilft.