Worum geht es nochmal?

Bei der Sneakerjagd, einer globalen GPS-Recherche, stießen wir auf ein riesiges Müllproblem: Abgetragene Schuhe werden kaum recycelt. Stattdessen landen sie sehr oft in afrikanischen Ländern, wo sie massenhaft auf illegalen Müllhalden oder in Flüssen die Umwelt verschmutzen. Mit dem Sneaker-Experiment begaben wir uns anschließend auf Lösungssuche. Und entwickelten den Prototyp eines Sneakers mit, der dazu beitragen kann, den Textilmüll in Afrika aufzuräumen. Dazu sollten abgetragene Schuhe in Kenia gesammelt, zu einem Granulat geschreddert und in neuen Sohlen verarbeitet werden. Wir nannten den Sneaker “Marabu”, nach den gespenstischen Vögeln, die in Kenia oft auf Müllkippen leben.

Von Anfang an stand fest: In Produktion wird der Marabu nur gehen, wenn es wissenschaftlich erwiesen ist, dass er nachhaltiger ist als ein herkömmlicher Sneaker. Für den Prototypen hatte das Institut für Energie- und Umweltforschung (IFEU) eine vorläufige Analyse des CO2-Fußabdrucks durchgeführt, die bereits ziemlich positiv ausfiel. Nun hat das IFEU mit einer aufwändigen Lebenszyklusanalyse die gesamte Umweltwirkung des Marabu-Sneakers untersucht.

Was ist eigentlich seit dem Sneakers-Experiment passiert?

Um klare Verhältnisse zu schaffen, hat Flip zusammen mit dem Münchner Sneaker-Hersteller Monaco Ducks eine eigene Firma gegründet, GRND. Nach Abschluss des Sneaker-Experiments hat sich die Flip-Redaktion aus dem Projekt zurückgezogen. Es folgte ein erfolgreiches Crowdfunding, bei dem insgesamt 688 Marabu-Sneaker vorbestellt wurden. Um die Produktion dieser ersten kleinen Serie kümmert sich seitdem GRND. Und stieß gleich mal auf ein paar Probleme.

Für die Recycling-Sohlen des Marabu-Sneakers sollten abgetragene Schuhe aus Kenia importiert werden, damit sie vor Ort nicht in der Umwelt landen. Doch das ist gar nicht so einfach. Die geschredderten, alten Schuhe gelten als Müll und sind dadurch diversen Auflagen unterworfen. Das GRND-Team musste einige bürokratische Hürden meistern, sich mit dem Zoll herumschlagen, Abfallrecht wälzen und sich mit Anwält:innen beraten. Eine erste Erkenntnis ist also: Während jedes Jahr aus Europa Unmengen an alten Schuhen nach Kenia geschickt werden, wird es einem ziemlich schwer gemacht, sie wieder zurückzuholen.

Es gab auch einige Überraschungen: Zum Beispiel stellte das GRND-Team fest, dass die Farbe der Marabu-Sohlen leicht variieren. Die Sohle des ersten Sneaker-Prototyps hatte noch einen eher gräulichen Farbton. Die Sohlen der ersten kleinen Serie, die später produziert wurden, haben einen eher ocker-grünlichen Stich. Das liegt daran, dass die Mittelsohle nur aus einer Naturkautschuk-Mischung und Grind besteht, also dem Granulat der geschredderten, alten Schuhe. Je nachdem, welche Farbe die alten afrikanischen Sneaker-Sohlen haben, die dafür zerkleinert werden, ändert sich automatisch auch die Farbe der Sohle. Ohne Farbstoffe und sogenannte Stabilisatoren lässt sich da nichts machen.

Je nachdem, aus welchem Müll die Sohle recycelt wird, kann sich ihre Farbe leicht verändern.

Was ist das Ergebnis der Lebenszyklusanalyse?

Das renommierte Institut für Energie- und Umweltforschung (IFEU) forscht weltweit zu Umweltthemen und hat bereits für zahlreiche Unternehmen die Umweltwirkung ihrer Produkte untersucht. Mit einer sogenannten Lebenszyklusanalyse hat das IFEU nun auch den Marabu-Sneaker analysiert. Das IFEU wollte herausfinden, ob der Marabu wirklich nachhaltiger ist als ein herkömmlicher Sneaker. Dafür hat Sven Gärtner, studierter Physiker und seit über 20 Jahren wissenschaftlicher Mitarbeiter beim IFEU, sämtliche verfügbaren umweltbezogenen Daten ausgewertet, die über den Marabu-Sneaker vorliegen. Anschließend hat er den Marabu mit einem Referenz-Sneaker verglichen, der einen handelsüblichen Sneaker darstellen soll, der ohne besonderen Fokus auf Nachhaltigkeit hergestellt wird. Nach wochenlanger Analyse sagt Gärtner: “Was seine Umweltwirkung angeht, ist der Marabu aus meiner Sicht einem herkömmlichen Sneaker durchaus überlegen.” Das sind seine wichtigsten Erkenntnisse im Detail:

Die Ökobilanz des Marabu-Sneakers

Hier geht es zur gesamten Lebenszyklusanalyse des Instituts für Energie- und Umweltforschung.

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1. Ein kleiner CO2-Fußabdruck

Nach den Erkenntnissen des IFEU ist der CO2-Fußabdruck des Marabu-Sneakers deutlich geringer als der eines herkömmlichen Sneakers. Im Schnitt ist der Marabu demnach für etwa sechs Kilogramm CO2-Äquivalente (also CO2 und andere klimaschädliche Gase) verantwortlich. Ein herkömmlicher Sneaker verursacht dagegen etwa 17 Kilogramm. Der Marabu schneidet in seiner Klimabilanz also bis zu drei Mal besser ab als andere Sneaker. “Er hat eine viel bessere CO2-Bilanz als ein konventioneller Sneaker”, sagt Sven Gärtner.

Dass der CO2-Fußabdruck des Marabus so viel geringer ist, liegt unter anderem an den Materialien, die für den Schuh verwendet werden. Der Sneaker besteht überwiegend aus recycelten Materialien, die deutlich weniger CO2-intensiv sind als neue Stoffe. Auch das Naturkautschuk, aus dem die Sohle zum Teil besteht, hat einen entscheidenden Einfluss: Gegenüber synthetischem Gummi, der oft aus Erdöl hergestellt wird, spart er viel CO2.

Einige Parameter, mit denen Sven Gärtner vom IFEU den CO2-Fußabdruck berechnete, mussten geschätzt werden. Etwa, wie lange der Marabu bzw. ein herkömmlicher Sneaker getragen werden. Gärtner hat deshalb gleich drei verschiedene Szenarien erstellt: Ein Worst-Case-Szenario (in dem er den CO2-Ausstoß pessimistisch gerechnet hat), ein Best-Case-Szenario (optimistisch gerechnet) und ein “typisches” Szenario, bei dem er mit Durchschnittswerten rechnete. Aber egal, in welchem Szenario: „Was den CO2-Fußabdruck angeht, ist der Marabu allemal besser”, sagt Gärtner.

2. Die Schattenseite des Naturkautschuks

Das IFEU berücksichtigte in der Lebenszyklusanalyse nicht nur die CO2-Emissionen des Marabu-Sneakers. Unter anderem berechnete Sven Gärtner auch den Wasser- und Flächenfußabdruck, für den der Sneaker verantwortlich ist. Im Gegensatz zum CO2-Ausstoß schneidet der Marabu hier schlechter ab. Das ist auch normal und erwartbar: „Nachwachsende Rohstoffe sind in der Regel mit einem höheren Wasser- und Flächenverbrauch verbunden“, sagt Gärtner. Schuld daran ist also der Naturkautschuk, der bei der CO2-Bilanz noch so gut abschnitt. Die Kautschuk-Bäume müssen schließlich gewässert werden und verbrauchen Landfläche. Bei einem herkömmlichen Sneaker aus synthetischen Stoffen, die ursprünglich aus Erdöl bestehen, ist das natürlich nicht der Fall. Sie haben einen minimalen Wasser- und Flächenverbrauch – schaden der Umwelt dafür aber an anderer Stelle.

Beides gleichzeitig scheint also nur sehr schwer zu erreichen: Ein kleiner CO2-Fußabdruck und ein niedriger Wasser- und Flächenverbrauch. „Wir müssen halt überlegen: Was ist uns denn wichtiger?“, sagt Gärtner. Er selbst, sagt er, halte den CO2-Fußabdruck angesichts der Klimakrise für entscheidend.

3. Das Lebensende ist wichtig

Wie nachhaltig der Marabu-Sneaker unter dem Strich ist, hängt erheblich davon ab, wie lange er getragen wird. “Je länger ein Schuh genutzt wird, desto geringer wird sein CO2-Fußabdruck”, sagt Sven Gärtner. Denn mit jedem Jahr, das man den Sneaker trage, fielen die Ressourcen, die bei der Herstellung verbraucht wurden, weniger ins Gewicht. Deshalb sei es auch sinnvoll, Sneaker so oft wie möglich reparieren zu lassen. Erst wenn der Schuh komplett kaputt sei, sollte man ihn entsorgen. Und auch hier hat die Art der Entsorgung einen deutlichen Einfluss auf den CO2-Fußabdruck.

Das IFEU hat in der Lebenszyklusanalyse berechnet, wie groß der CO2-Fußabdruck des Marabus ausfällt, je nachdem, was mit ihm geschieht, wenn er kaputt ist. Landet der Marabu in der Müllverbrennungsanlage, etwa weil er im Hausmüll entsorgt wird, liegt sein CO2-Fußabdruck bei über sieben Kilogramm CO2 pro Paar. Dieses Szenario sollte eigentlich nicht eintreten, da es für den Marabu ein Rücknahmesystem gibt. Wer die Sneaker kauft, hinterlegt ein Pfand, das man wieder bekommt, wenn man sie zurücksendet. In diesem Fall würde die Sohle vom Oberschuh getrennt und recycelt werden. Für dieses Szenario hat das IFEU einen CO2-Fußabdruck von etwa fünf Kilogramm CO2 berechnet, also schon zwei Kilo weniger als wenn die Sneaker verbrannt würden. Wirklich beachtlich ist aber Szenario drei, das bislang aber noch eine Zukunftsvision ist: Könnte man den Sneaker vollständig verwerten, wäre sein CO2-Fußabdruck laut IFEU kleiner als drei Kilogramm CO2. Das verdeutlicht einmal mehr, wie wichtig es ist, Kleidung und Schuhe so kreislauffähig wie möglich zu designen und herzustellen.

Und wie geht es jetzt weiter?

Den Marabu-Sneaker kann man auf der GRND-Website vorbestellen. Die ersten Sneaker sind bereits in der Produktion und sollen bald versandt werden. Um Überproduktion zu vermeiden, wird es zunächst nur Vorbestellungen geben. Es sollen also nur so viele Sneaker hergestellt werden, wie auch wirklich gebraucht werden.


Disclaimer: Für die Realisierung des Marabu-Sneakers hat Flip gemeinsam mit dem Münchner Sneakerhersteller Monaco Ducks die Firma GRND gegründet, an der beide Partner zu 50 Prozent beteiligt sind.

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