Sollte man Whistleblower wie diesen besser schützen?
Whistleblower sind in Deutschland kaum geschützt. Oft verlieren sie ihre Jobs oder werden verklagt. Die EU hat eine Whistleblower-Richtlinie beschlossen.
Es ist nur ein Beispiel von vielen. Ohne Whistleblower wüssten wir noch immer wenig über Offshore-Konten von Waffenhändlern und Politikern, über die Cum-Ex-Steuerräuber oder den Datenskandal rund um Facebook. Fast immer sind es Whistleblower, die Hinweise liefern, um Missstände aufdecken zu können. Im besten Fall führt das zu politischen Veränderungen, neuen Regeln und Gesetzen, kurzum: zu einer besseren Wirtschaft.
Das Problem: Whistleblower zahlen für ihren Mut einen hohen Preis. Nach der Enthüllung ergeht es ihnen oft miserabel. Viele werden gemobbt, verlieren ihren Arbeitsplatz, bekommen rechtliche und psychische Probleme. Das Gesetz schützt sie kaum. “Whistleblower werden oft sich selbst überlassen”, sagt Annegret Falter, die Vorsitzende des Whistleblower-Netzwerks, einem Verein, der sich für Hinweisgeber einsetzt. Das ist nicht nur ungerecht, es hält potenzielle Whistleblower auch davon ab, Missstände aufzudecken.
»Viele Skandale kommen nie ans Licht, weil Menschen aufgrund der aktuellen Gesetzeslage davor zurückschrecken, zu Whistleblowern zu werden. Das ist ein Problem für die ganze Gesellschaft.« Annegret Falter, Whistleblower-Netzwerk
Und wie könnte eine Lösung aussehen?
Bisher gibt es in Deutschland anders als in anderen Ländern kein eigenes Whistleblower-Gesetz. “Deutschland ist im europäischen Vergleich hinten dran”, sagt Klaus Ulrich Schmolke, Rechtsprofessor an der Universität Erlangen-Nürnberg. Seit 2008 gab es zwar sechs Gesetzesinitiativen, um Whistleblower besser zu schützen. Doch sie sind alle gescheitert, vor allem am Widerstand der CDU/CSU. Das hat mit dem Einfluss der Wirtschaftslobby zu tun, hat aber auch historische Gründe. In Deutschland haben sich die Bürger während des NS-Regimes gegenseitig verpfiffen, in der DDR hat die Staatssicherheit eine Spitzelkultur geschaffen. Whistleblower stehen deshalb noch immer im Verdacht, Denunzianten zu sein.
»Für die meisten bist Du als Whistleblower kein Held, sondern ein Verräter.« Martin Porwoll, Whistleblower
Die Realität ist natürlich nicht schwarz-weiß. “Den idealtypischen Whistleblower gibt es nicht”, sagt Ralf Kölbel vom Lehrstuhl für Strafrecht und Kriminologie der Ludwig-Maximilians-Universität München. Für eine Studie haben er und Kollegen mit 28 Whistleblowern gesprochen. Ausschlaggebend sei für Whistleblower oft eine komplexe Mischung aus ethischen und persönlichen Motiven. Auch er sieht sie in Deutschland bisher nur unzureichend geschützt.
Nun aber kommt Druck von der EU. Ende 2019 hat sie eine Whistleblower-Richtlinie beschlossen. Sie soll die rechtliche Stellung von Whistleblowern verbessern, sie etwa vor Klagen, Repressalien und Entlassung schützen. Die Richtlinie muss von den EU-Staaten innerhalb von zwei Jahren umgesetzt werden.
»Die Whistleblower-Richtline der EU ist eine große Chance, insbesondere für Deutschland. Ob sie die Situation der Betroffenen wirklich verbessert, hängt aber von der Umsetzung durch die Bundesregierung ab.« Annegret Falter, Whistleblower-Netzwerk
Bisher gibt es keinen Gesetzentwurf der Bundesregierung. Auf Anfrage von Flip teilt das federführende Justizministerium mit, man werde “in Kürze” einen Entwurf vorlegen. Schon länger ist hinter den Kulissen das Tauziehen der Interessensgruppen und beteiligten Ministerien voll im Gange. Insbesondere das Wirtschaftsministerium unter Peter Altmaier hat versucht, einen weitreichenden Schutz von Whistleblowern zu verhindern. Das Whistleblower-Netzwerk hat deshalb zusammen mit Organisationen wie Transparency International oder Reporter ohne Grenzen Forderungenveröffentlicht, deren Umsetzung aus ihrer Sicht notwendig ist, um Whistleblower künftig rechtlich abzusichern.
Worum geht es genau?
Um eine ganze Menge! Mit Annegret Falter haben wir darüber ausführlich gesprochen, außerdem Studien gewälzt und mit Juristen gesprochen.
Hier die drei Kernforderungen des Whistleblower-Netzwerks:
1. Auch nationales Recht und Missstände müssen rein
Würde die EU-Richtlinie 1:1 umgesetzt, bezöge sie sich nur auf EU-Recht, nicht auf nationales Recht. Soll heißen: Der Schutz für Whistleblower würde nur dann greifen, wenn sie Dinge öffentlich machen, die gegen EU-Recht verstoßen. Das hätte absurde Folgen. Annegret Falter nennt folgendes Beispiel: Würde ein Kellner merken, dass im Hinterzimmer seines Lokals Geldwäsche-Aktivitäten (fällt unter EU-Recht) stattfinden, dürfte er das melden. Ginge es dagegen um Zwangsprostitution, fiele das unter nationales Recht und wäre nicht vom Whistleblower-Gesetz gedeckt.
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