Was ist das Problem hinter den guten Zahlen?

Vor genau einer Woche trat der Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) vor die Presse und verkündete gute Nachrichten: Der CO2-Ausstoß sei im vergangenen Jahr auf ein Rekordtief gefallen, Deutschland auf Kurs, um die Ziele für 2030 zu erreichen. Das klang nach einem Grund zur Freude, selbst wenn die niedrigeren CO2-Emissionen zu einem großen Teil auf die schwache Konjunktur zurückgehen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Sektoren Verkehr und Gebäude ihre Ziele nicht erreicht haben, so wie schon in den beiden Vorjahren. Das hat, anders als im Klimaschutzgesetz vorgesehen, keine Konsequenzen. Nun will die Bundesregierung das Gesetz, das eine konsequente Verfolgung der Klimaziele sicherstellen und den Hang der Politik zur Aufschieberitis eindämmen sollte, sogar aufweichen – und die Probleme in die Zukunft verlagern.

Was genau ist das für ein Anti-Aufschieberitis-Gesetz?

Ende 2019, als noch die große Koalition aus CDU und SPD an der Macht war, hat der Bundestag ein neues Klimaschutzgesetz beschlossen. Das Besondere: Die Politik wollte das Klima damit gewissermaßen vor sich selbst schützen. Das hatte einen guten Grund. Immer wieder geben sich Staaten ehrgeizige Klimaziele, die dann, wenn viele Jahre später längst andere Politiker:innen an der Macht sind, doch nicht erreicht werden. Das gilt auch für Deutschland. Die Bundesrepublik gab sich 1990 als erster Staat der Welt ein nationales Klimaschutzziel. Es wurde, 15 Jahre später, deutlich verfehlt. Die Erfahrung zeigt: Sich ehrgeizige Ziele zu geben, ist einfach und kommt gut an. Die Einsparungen durchzusetzen, ist mühsam und bringt wenig Applaus. Also schiebt man das vor sich her – bis es zu spät ist.

Dem wollte die damalige Bundesregierung mit einem Anti-Aufschieberitis-Gesetz vorbeugen. Der Mechanismus dahinter basiert auf zwei Maßnahmen. Erstens wurden die Klimaziele auf einzelne Sektoren heruntergebrochen: Energiewirtschaft, Industrie, Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft und Abfall. Zweitens wurde festgelegt, dass jedes Jahr vom Umweltbundesamt nachgemessen wird, ob die Jahresziele der Sektoren erreicht werden. Verfehlt ein Sektor die Ziele, muss das zuständige Ministerium mit einem Sofortprogramm nachsteuern, um die Einhaltung der Klimaziele sicherzustellen. So steht es im Gesetz.

Für Svenja Schulze von der SPD, damals Umwelt- und heute Entwicklungsministerin, war das Gesetz ein großer Wurf. „Künftig wird klar geregelt, was passiert, wenn ein Bereich vom vereinbarten Klimakurs abweicht und wer dann wie nachbessern muss. Damit lernen wir aus den Fehlern der Vergangenheit.“ Schulzes Versprechen:

»Mein Klimaschutzgesetz macht den Klimaschutz für alle verbindlich. Ab jetzt sind alle Ministerien Klimaschutzministerien.«Svenja Schulze (SPD), ehemalige Umweltministerin

Und hat das in der Praxis auch funktioniert?

Die Regierung hat in den Sektoren Verkehr und Gebäude mittlerweile dreimal in Folge – 2021, 2022 und 2023 – die eigenen Klimaziele verfehlt. Laut Gesetz hätte also der neue Mechanismus greifen und umgehend Sofortprogramme verabschiedet werden müssen. Das  ist aber nicht passiert. Vor allem Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) stellt sich quer. “Wir können diese CO2-Emissionen nicht beliebig kurzfristig reduzieren, weil wir mobil sein müssen”, sagte er in einem SWR-Interview. Kurzfristig wirksame Maßnahmen wie ein Tempolimit auf Autobahnen oder die Abschaffung des Dienstwagen-Privilegs lehnt die FDP ab.

Für das Jahr 2021 hatte Wissings Ministerium zwar noch ein Pseudo-Sofortprogramm vorgelegt. Das allerdings war so unambitioniert, dass es nach Ansicht des Klima-Expertenrates der Bundesregierung eindeutig gegen das Gesetz verstieß. „Es besteht gar nicht der Anspruch, auf den Klimapfad zurückzukommen“, sagte Brigitte Knopf, die stellvertretende Vorsitzende des Expertenrats, damals. Das Sofortprogramm von Bauministerin Klara Geywitz (SPD) bewertete der Expertenrat dagegen als gerade noch ausreichend.

Für das Jahr 2022 legte Verkehrsminister Wissing dann nicht einmal mehr ein Pseudo-Programm vor. Während das Bauministerium angesichts der erneut verfehlten Ziele versprach, das Sofortprogramm aus dem vergangenen Jahr weiterzuentwickeln, kündigte ein Sprecher des Verkehrsministeriums an, gar kein Programm mehr aufzulegen – und bekam dafür sogar Rückendeckung aus dem Kanzleramt. Damit war klar: Wer als Minister:in vom Klimakurs abweicht und trotzdem kein Sofortprogramm vorlegt, hat wenig zu befürchten.  

Was ist die politische Logik dahinter?

Seit 2021 regiert die Ampelkoalition – und damit auch die FDP. Schon bei den Koalitionsverhandlungen drängte sie auf eine Reform des Klimaschutzgesetzes und die Abschaffung der Sektorenziele. Fraktionschef Christian Dürr begründete das so: “Die alte Planung der Großen Koalition war Planwirtschaft pur. Man hat in Jahresplänen und Sektoren gedacht. Das sind Begriffe, die man aus ganz anderen Wirtschaftssystemen eigentlich kennt. Deswegen ist es grundfalsch.“

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