Was ist das Problem?
Kaugummi besteht aus Erdöl. Das ist kein Geheimnis, für viele aber trotzdem eine Überraschung, denn auf der Zutatenliste steht meist nur „Kaumasse“. Doch die die besteht bei handelsüblichen Kaugummis aus Kunststoffen, die sich kaum von dem unterscheiden, was wir als Plastik bezeichnen. Sie heißen Polybuten oder Polyvinylacetat und werden aus Rohöl hergestellt. Ob es gesundheitsschädlich ist, darauf herumzukauen, ist umstritten. Umweltfreundlich ist es auf keinen Fall – denn Erdöl ist kein nachwachsender Rohstoff. Ingesamt werden laut Forest Gum weltweit jedes Jahr 580.000 Tonnen Kaugummi gekaut und weggeworfen. In Deutschland kleben demnach auf jedem Quadratkilometer 35 bis 80 Kaugummis. Das ist nicht nur eklig, wenn man hineintritt – die Reinigung kostet die Kommunen auch viel Geld.
Was ist der Ansatz von Forest Gum?
Gründer Thomas Krämer und sein dreiköpfiges Team produzieren und verkaufen ein Kaugummi, das ohne solche Kunststoffe auskommt. Statt einer synthetisch hergestellten Kaumasse verwenden sie als Grundstoff Chicle, den Saft des Breiapfelbaums. Dieses Harz wird in Zentralamerika geerntet, Forest Gum lässt es dann in Europa nach eigenem Rezept zu Kaumasse weiter verarbeiten. Zu kaufen gibt es die Kaugummis in den Geschmacksrichtungen Minze und Beere in immer mehr Supermarkt- und Drogerie-Ketten in Deutschland, zum Beispiel bei REWE, Müller und Rossmann.

Die Idee zu Forest Gum hatte Krämer während seines Studiums der Forstwirtschaft und ökologischer Landwirtschaft, vorher hatte er bereits BWL studiert und einige Jahre in der Autowirtschaft gearbeitet. Von Chicle hörte er zum ersten Mal im Hörsaal. Er reiste nach Mittelamerika, um den richtigen Rohstoff zu finden und experimentierte in der Küche mit Kaumasse-Rezepten. Anfang 2019 gründete er Forest Gum. Mittlerweile verkauft das Unternehmen 55.000 bis 60.000 Packungen Kaugummi im Monat.
»Seit ich erfahren habe, dass es möglich ist, Kaugummi ohne Plastik zu produzieren, hat mich die Idee nicht mehr losgelassen. Und heute produzieren wir ein Produkt, das lecker schmeckt und komplett aus natürlichen Zutaten besteht« Thomas Krämer, Gründer von Forest Gum
Im September 2019 war er mit seiner Idee in der Sendung „Die Höhle der Löwen“ und bekam mehrere Investment-Angebote, die er schlussendlich aber ablehnte. Der Entscheidung trauert er nicht nach: „Wir sind eigenständig und können ganz alleine Entscheidungen treffen. Das ist mir wichtig, denn so können wir unser Produkt so nachhaltig und fair wie möglich gestalten.“
Ist das wirklich eine gute Idee?
Um darüber zu sprechen, haben wir uns mit Thomas Krämer zu einem Video-Call verabredet. Aufgrund der aktuellen Corona-Situation sind derzeit alle Mitarbeiter:innen von Forest Gum im Home-Office.

Hier ein paar Punkte, die wir wichtig finden:
1. Wie nachhaltig ist der Rohstoff?
Kern der Idee und des Produkts von Forest Gum ist der Stoff Chicle. Kaugummis aus diesem Baumsaft herzustellen, ist keine neue Idee. Im Gegenteil, schon vor tausenden von Jahren kauten die Maya auf Chicle und auch der erste in den USA im Jahr 1869 patentierte Kaugummi bestand aus Chicle.
Heute ist der Stoff nicht mehr in vielen Kaugummis enthalten (neben Forest Gum nutzen ihn aber auch Chicza oder True Gum). Laut des Lebensmittelchemie-Lexikons Römpp liegt das daran, dass „die natürlichen Erzeugnisse mengenmäßig nicht genügend zur Verfügung stehen“. Es liegt aber auch daran, dass die künstlichen Alternativen einfacher herzustellen sind. Denn Chicle muss geerntet werden. Die sogenannten Chicleros ritzen Bäume im Regenwald an und fangen den Saft auf.
»Bei uns wird ein Baum nur alle sechs bis sieben Jahre angezapft. Die Bäume sollen Zeit zur Erholung haben« Thomas Krämer
Die Bäume auf diese Art für einen Rohstoff zu nutzen, sei sogar gut für den Wald, sagt Krämer. Denn wenn er einen wirtschaftlichen Nutzen für die Menschen hat, haben sie Interesse daran, dass er nicht abgeholzt wird.
Dass das Chicle irgendwann knapp wird, da macht sich Krämer keine Sorgen, es gäbe genug davon. Würde die Nachfrage plötzlich sprunghaft steigen, könnte es aber natürlich sein, dass nicht alle so pfleglich mit den Bäumen umgehen.
2. Macht Forest Gum die Umwelt sauber?
Weil Forest Gum aus Chicle besteht, ist es im Grunde biologisch
abbaubar, anders als synthetischer Kaugummi. Auf der Webseite weist
Forest Gum darauf hin, dass deutsche Kommunen 900 Millionen Euro im Jahr
dafür ausgeben, Gehwege zu reinigen. Dieses Problem dürfte Forest Gum
allerdings kaum lösen, denn auch das Öko-Kaugummi bleibt lange kleben, Krämer schätzt ungefähr ein Jahr. Wie lange genau, hängt von den äußeren Umständen ab, aber sicher lange genug, dass es keine gute Idee ist, den Kaugummi einfach in der Natur zu entsorgen. „Man sollte auch Forest Gum auf keinen Fall einfach auf den Boden werfen“, sagt Krämer. „Wir empfehlen auch nicht, den Kaugummi zu kompostieren, sondern einfach im Restmüll zu entsorgen.“
3. Ist Forest Gum gesünder?
Forest Gum behauptet nicht explizit, einen gesünderen Kaugummi herzustellen, als die großen Konkurrenten, wirbt aber auf Fotos mit Models, die Plastikfolie im Mund haben. Das deutet zumindest an, dass synthetische Kaumasse nicht gut für den Körper sei.
Thomas Krämer sagt dazu:
»Wir sagen nicht: 'Herkömmlicher Kaugummi tötet Dich'. Das glaube ich auch nicht. Ich glaube aber, dass es nicht spurlos am Körper vorbei geht, wenn wir jahrelang täglich auf Plastik herumkauen«
Letztlich, so Krämer, müsse es jeder selber wissen.
Auch wenn es unappetitlich klingt, auf Kunststoff herumzukauen, gibt es keine nennenswerten Hinweise darauf, dass die Kaumasse handelsüblicher Kaugummis besonders ungesund sein könnte. Polyvinylacetat etwa hat sich im Tierversuch als nicht schädlich erwiesen.
Das Österreichische Umweltbundesamt hat vor einigen Jahren in einer Studiefestgestellt, dass Menschen, die regelmäßig Kaugummi kauten, eine erhöhte Konzentration sogenannter Weichmacher im Körper hatten. Das galt allerdings auch für Menschen, die regelmäßig Haarschaum, Haarfärbemitteln, oder Make-up verwendeten oder aus PET-Flaschen tranken.
Auf der Webseite wirbt Forest Gum auch damit, dass es ohne den Süßstoff Aspartam und ohne das Pigment Titandioxid auskommt, Stoffe, von denen immer wieder berichtet wird, sie könnten Krebs verursachen. Die EU-Lebensmittelbehörde Efsa und andere haben Aspartam allerdings als unbedenklich eingestuft. Für Titandioxid, das manche Kaugummis strahlend weiß macht, besteht noch Forschungsbedarf. Nach derzeitiger Datenlage scheint es aber zumindest keine schlechte Idee zu sein, darauf zu verzichten.
4. Und sonst?
Forest Gum verwendet für die Verpackung kein Plastik. Auch auf die Arbeitsbedingungen achtet Krämer, er verhandelt deshalb direkt mit den Kooperativen und Chicleros vor Ort. Ein Bio-Siegel oder Fair-Trade-Zertifikat hat Forest Gum nicht. Krämer sagt: “Das steckt alles noch in den Kinderschuhen, es ist aufwändig, solche Prozesse zu zertifizieren. Im Grunde würden wir das gerne machen, wobei man immer schauen muss, ob es für unsere Partner wirklich Sinn macht. Einstweilen sind wir glücklich über die direkte Zusammenarbeit mit unseren Partnern.“
Das ist häufig so bei kleinen, nachhaltigen Unternehmen und zunächst einmal nichts Schlechtes. Ein Produkt muss nicht mehr oder weniger ökologisch oder fair sein, nur weil ein Siegel darauf prangt. Allzu detaillierte Informationen zur Lieferkette findet man auf der Webseite von Forest Gum allerdings nicht und die Produktionsstätten in Europa sind Betriebsgeheimnis.
In Sachen Transparenz ist also noch Luft nach oben. Und gerade wenn größere Unternehmen die Chicle-Idee aufgreifen sollten, wäre ein unabhängiges Siegel für Verbraucher:innen durchaus sinnvoll.
»Natürlich ist Kaugummi nur ein kleines Alltagsprodukt, das alleine nicht die Welt retten wird. Aber es ist doch ein Teil des Problems« Thomas Krämer
Und was sagt der Experte?
Wir haben mit Volker Sieber über Forest Gum gesprochen. Sieber ist Professor für Chemie Biogener Rohstoffe an der TU München, das heißt, er kennt sich sowohl mit Chemie als auch mit nachwachsenden Rohstoffen bestens aus.
Forest Gums Ansatz findet er gut.
»Grundsätzlich ist es immer besser, die fossilen Rohstoffe, die im Boden sind, auch dort zu lassen. Kaugummi aus erneuerbaren Ressourcen herzustellen, ist deshalb erstmal eine begrüßenswerte Idee«
Auch wenn Forest Gum noch am Anfang steht – das Potenzial für nennenswerte Einsparungen sieht Sieber auf dem Kaugummi-Markt durchaus.
»Es werden mehrere hunderttausend Tonnen Kaugummi pro Jahr produziert. Das ist natürlich nicht die Größenordnung von anderen Kunststoff-Produkten wie etwa PET-Flaschen. Aber es lohnt sich definitiv, darüber nachzudenken, wie man das nachhaltiger machen könnte«
Technisch gesehen sei es gar kein großer Unterschied, einen Kaugummi aus Chicle oder aus Kunststoff zu produzieren, sagt Sieber: „Die Kaueigenschaften lassen sich bei beiden Rohstoffen sicher gut einstellen.“ Theoretisch könnten Wrigley und Co. also auch auf den Stoff umsteigen. Sieber jedenfalls meint, dass es wohl möglich wäre, genügend Rohstoff zu produzieren. „Man kann es vielleicht mit dem ähnlichen Kautschuk vergleichen, der in Plantagen angebaut wird. 100.000 Tonnen pro Jahr würden da kaum ins Gewicht fallen.“ Ob dieses hypothetische Massen-Chicle dann allerdings so nachhaltig wäre wie das wild geerntete von Forest Gum, ist eine andere Frage.
Eine Packung Forest Gum kostet 1,39 Euro und enthält 10 Kaugummi-Dragees. Eine Packung Wrigley’s Airwaves, die in Deutschland meistverkaufte Kaugummi-Marke, kostet 0,99 Euro und enthält 12 Dragees. Ein Forest-Gum-Kaugummi ist also 68 Prozent teurer.
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