Diese Jeans-Marken haben wir gecheckt
🏠 Geniestreich: Die Jeans-Fabrik im Kinderzimmer
🚮 IGLU: Eine blaue Tonne für Blue-Jeans
💧 Wunderwerk: Das Wasser-Wunder?
🏭 Dawn Denim: Ein Label mit eigener Fabrik
🧪 Armed Angels: Detox-Jeans ohne Gift
♻️ Kings of Indigo: 100% recyceltes Material?
Sie ist eine Ikone. Die blaue Farbe, die orangenen Nähte, die Nieten an den Taschen. Sie wurde von Volksmusiker Udo Jürgens besungen und sogar Angela Merkel erklärte ihr einmal die Liebe, vor dem gesamten US-Kongress. Die Jeans ist eine Art Rockstar in der Modewelt. Kein Kleidungsstück verkauft sich besser. Jede Sekunde gehen weltweit etwa 600 Jeans über die Ladentheke. 4,3 Milliarden Meter Jeansstoff wurden letztes Jahr dafür gewebt, eine Stoffbahn, mit der man die Erde einhundert Mal umwickeln könnte. Die Jeans ist das populärste Kleidungsstück der Welt. Doch in der Branche gilt sie auch als das schmutzigste.
Bereits beim Anbau der Baumwolle werden Unmengen an Wasser verbraucht und giftige Pestizide eingesetzt. Die Menschen, die die Jeans herstellen, werden oft schlecht bezahlt. Und in den Wäschereien und Fabriken kommen so viele gefährliche Chemikalien zum Einsatz, dass inzwischen ganze Städte verschmutzt sind. Die Jeans steht somit auch stellvertretend für eine Fast-Fashion-Branche, die Mensch und Umwelt massiv schadet. Doch eigentlich müsste das gar nicht so sein, zumindest nicht bei der Jeans. Viola Wohlgemuth beschäftigt sich bei der Umweltorganisation Greenpeace seit vielen Jahren mit der Modebranche. Sie kennt die Umweltprobleme, für die die Jeans verantwortlich ist. Aber sie sagt: “Eigentlich ist eine Jeans recht nachhaltig.” Schließlich sei sie robust, langlebig und aus Baumwolle, einem nachwachsenden Rohstoff. Sie sagt:
Die Jeans an sich ist nicht das Problem, sondern das, was die Textilindustrie aus ihr gemacht hat. Viola Wohlgemuth, Greenpeace
Kann man eine Jeans also auch so herstellen, dass sie der Umwelt keinen Schaden zufügt? Dass keine Menschen ausgebeutet werden und ohne dass Arbeiter:innen bei der Produktion giftigen Chemikalien ausgesetzt sind? Anders gefragt: Kann man das schmutzigste Kleidungsstück der Welt auch sauber produzieren?
Diesen Fragen ist Flip in einer mehrwöchigen, konstruktiven Recherche nachgegangen. Die Suche nach Antworten führte zu zahlreichen Menschen und Unternehmen, die es bereits besser machen als die Fast-Fashion-Giganten. Einige von ihnen wollen wir euch vorstellen. Ihre Lösungsansätze knüpfen an die wichtigsten Probleme bei der Jeans-Produktion an. Und ihre Geschichten, so klein sie auf den ersten Blick auch wirken mögen, erzählen viel über eine Branche, die sich dringend verändern muss. Sie stehen exemplarisch für Dutzende Menschen und Firmen, die jeden Tag an dieser Transformation arbeiten.
Zunächst aber muss man verstehen, warum die Jeans das schmutzigste aller Kleidungsstücke ist. Das sind die fünf größten Probleme bei der Jeans-Produktion:
Problem 1: Das Gift auf den Feldern
Am Anfang jeder Jeans steht ein Baumwollfeld. Dort, wo der Rohstoff für Jeanshosen angebaut und geerntet wird. Baumwolle sei eine durstige Pflanze, heißt es oft, wenn es darum geht, wieso die Jeans so umweltschädlich ist. Dabei ist Baumwolle eine Wüstenpflanze, sie kommt eigentlich auch gut ohne viel Wasser aus. Doch da immer mehr Jeans immer schneller produziert, getragen und wieder weggeschmissen werden, muss auch immer mehr Baumwolle angepflanzt werden. Schätzungsweise bedecken Baumwollfelder weltweit eine Fläche von 33,3 Millionen Hektar. Würde man die weltweite Produktion nach Deutschland verlegen, wäre fast das ganze Land eine einzige Baumwoll-Plantage.
Es ist also nicht die Pflanze selbst, sondern die enorme Menge an Baumwollpflanzen, die für den enormen Wasserverbrauch sorgt. Welche Schäden das anrichtet, kann man zum Beispiel in Usbekistan beobachten. Dort werden seit fast 100 Jahren Baumwollfelder mit Wasser aus dem Aralsee bewässert. Wo einst einer der größten Seen der Welt lag, ist heute nur noch eine Salzwüste: Der Aralsee ist fast vollständig ausgetrocknet.
Um die hohe Nachfrage zu decken, werden auch viele Pestizide eingesetzt. Die Mittel töten alles ab, was dem Ertrag schadet: Pilze, Insekten, andere Pflanzen. Mit dem Regen und der Witterung gelangen diese Mittel in den Boden, die Luft und ins Grundwasser. „Die Pestizide und die Insektizide machen mir wirklich Sorgen“, sagt Thomas Bechtold. Er ist Leiter des Forschungsinstituts für Textilchemie und Textilphysik der Universität Innsbruck: „Diese Stoffe möchten wir wirklich nicht in unserem Trinkwasser haben.“ Es ist also auch der Einsatz von Pestiziden, der den Baumwollanbau umweltschädlich macht.
Problem 2: Die tödliche blaue Farbe
Egal, wo auf der Welt man eine Jeans kauft, die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass sie schon einmal in Xintang war. Xintang ist eine Kleinstadt im Süden Chinas. Ein Ort, an dem Jeanshosen gefärbt, genäht, gebleicht, gewaschen, bedruckt, abgerieben und kunstvoll zerschlissen werden. Xintang wird als „Welthauptstadt der Bluejeans“ bezeichnet. Mehr als 260 Millionen Hosen werden hier jedes Jahr produziert. Ein anderer Name, den man dem Ort gegeben hat, ist „Die Stadt am blauen Fluss“, am Ink-River, dem Fluss voller Tinte. Denn die blaue Farbe und all die Chemikalien, die beim Färben der Garne und der Jeans verwendet werden, gelangen dort mangels Kläranlagen kaum oder gar nicht gefiltert in die Flüsse. Auf Satellitenbildern sieht man, wie mitten aus dem Herzen der Stadt durch den Fluss Dong tiefblaue Farbe in den großen Perlfluss strömt.
2010 entnahm ein Greenpeace-Team in Xintang Wasser- und Sedimentproben. Sie wiesen alarmierende Mengen an giftigen Schwermetallen auf, hohe Konzentrationen von Kupfer und Blei. Allein die Konzentration des krebserregenden Cadmiums lag 128-mal über dem in China zulässigen Höchstwert. Das Abwasser, versalzen und mit Chemikalien belastet, ist extrem gesundheitsschädlich für die Menschen und Tiere vor Ort. Die Unterwasserwelt verändert sich und bedroht damit die Artenvielfalt. Und auch den Konsument:innen, die die Jeans am Ende kaufen, kann die giftige Färberei schaden. 2019 hat Markt, das Verbrauchermagazin des NDR, Jeanshosen großer Hersteller wie H&M und Levis im Labor untersuchen lassen. In allen Hosen wurden Spuren von Anilin gefunden. Der Stoff, der beim Färben von Jeans mit synthetischem Indigo eingesetzt wird, ist potentiell krebserregend.
Problem 3: Ein System, das krank macht
Die meisten Jeans kommen jedes Jahr aus Bangladesch nach Deutschland. Im vergangenen Jahr waren es 77,6 Millionen. Doch die Bedingungen, unter denen die Näher:innen dort die Jeans produzieren, sind hart. Nazma Akter fasst sie so zusammen: „Lange Arbeitszeiten, Schikanen, Gewalt, hoher Produktionsdruck“. Die Gründerin der Awaj–Stiftung, eine Gewerkschaft mit über 600.000 Mitgliedern in Bangladesch, sagt auch: „Dieses System macht uns krank.“ Kopfschmerzen, Verdauungsstörungen, Rückenschmerzen, Lungenprobleme und Depressionen seien nur einige der Krankheiten, von denen die Arbeiter:innen häufig betroffen seien. Die Fast-Fashion-Produzenten seien nach Bangladesch gekommen, um die Ressourcen und den Profit zu nehmen. Eine Umfrage aus 2020 zeigt: Gerade mal sieben Prozent der befragten Modeunternehmen zahlen den Näherinnen und Nähern einen existenzsichernden Lohn.
Problem 4: Die weite Reise
Die Baumwolle wächst nur in wärmeren Ländern, zum Stoff gewebt, gefärbt und zur Jeanshose genäht wird sie hingegen dort, wo die Arbeitskräfte am wenigsten verdienen. Gekauft werden Jeans vor allem in den reicheren Industrieländern. Bis die Jeans im Laden hängt, hat sie oft 50.000 Kilometer durch verschiedene Länder und Kontinente zurückgelegt. Rein streckenmäßig ist sie also mehr als einmal um die Welt gereist. Auch das trägt zu ihrem ökologischen Fußabdruck von etwa 30 Kilo CO2 pro Jeans bei. Das entspricht in etwa dem ökologischen Fußabdruck von zehn Kilo frischem Schweinefleisch.
Problem 5: Das Used-Look-Dilemma
Die Jeans ist oft ein Wegwerfprodukt. In der Produktion fällt bereits einiges an Müll an: 10 bis 15 Prozent der Milliarden Meter an Jeansstoff werden jedes Jahr als Verschnitt oder aufgrund von Fehlplanung oder Mängeln entsorgt. Und weil Fast-Fashion-Konzerne immer mehr und immer schneller neue Modelle auf den Markt bringen, landen auch alte Jeans, die nicht mehr in Mode sind, oft im Müll. Besonders absurd: Schon bevor die Jeans überhaupt bei den Kund:innen landen, werden sie aus Modegründen oft zerschlissen. Sie werden geblichen, mit Steinen gewaschen, gelasert und mit Löchern versehen, um ihnen einen Used-Look zu verpassen. Das macht die Jeans, die eigentlich robust ist, deutlich weniger langlebig und führt dazu, dass sie schneller im Müll landet als notwendig.
Wie kann die Jeans wieder nachhaltiger werden?
Flip hat mit zahlreichen Unternehmen gesprochen, die es besser machen wollen als die großen Fast-Fashion-Konzerne. Sie bilden natürlich nur einen kleinen Ausschnitt einer viel größeren Branche, die bereits heute an verschiedenen Problemstellen der Jeans-Produktion ansetzt und Lösungen entwickelt. Aber man kann etwas von ihnen lernen. Deshalb erzählen wir die Geschichten dieser Unternehmen und Initiativen und schauen wie immer ganz genau hin, ob ihre Ideen in der Praxis auch funktionieren. Los geht unsere Jeans-Lösungs-Serie zwei konkreten Ansätzen. In den nächsten Wochen werden wir noch mehr Ideen dazu vorstellen, wie das dreckigste Kleidungsstück der Welt sauberer werden kann.