Auf einen Blick

Idee: Julia und Andreas Güntzel schneidern die Geniestreich-Jeans im eigenen Haus nach Maß. Die Jeans ist somit “Made in Germany” und soll fair und ökologisch sein.

Impact: Geniestreich bezahlt seine Mitarbeiter:innen mehr als den Mindestlohn und setzt bei seinen Jeans hauptsächlich auf Bio-Stoffe. Durch die lebenslange Garantie will die Marke dafür sorgen, dass die Jeans besonders langlebig sind. Schnittreste spendet Geniestreich an die Hilfsorganisation Johanniter, die daraus Putzlappen herstellen.

Glaubwürdigkeit: Die Kund:innen können die Manufaktur selbst besuchen und sich ein Bild von den Arbeit– und Produktionsbedingungen machen. Mehr Transparenz geht kaum.

Was ist die Idee hinter Geniestreich?

Wo sonst die beiden Jüngsten spielten, stehen nun die Nähmaschinen. Statt Kinderbücher füllen blaue und neonfarbene Garnrollen die offenen Regale, Stoffballen lehnen an der Wand, auf Kleiderbügeln an der Tür hängen Schnittmuster aus dünnem Papier. Nichts außer ein paar Buntstift-Kritzeleien am Türrahmen erinnert daran, dass das hier mal ein Kinderzimmer war. Von hier aus, mitten im eigenen Haus in Bielefeld, steuern Julia und Andreas Güntzel ihre nachhaltige Jeansmarke „Geniestreich“.

„Wir müssen jetzt erst mal zusammen frühstücken“, sagt Julia Güntzel als man in ihrem Haus steht, das gleichzeitig Verkaufsort, Manufaktur, Lager und ein Zuhause ist. Wie kommt eine Familie darauf, in ihrem Zuhause Jeans zu produzieren?

Julia Güntzel in der hauseigenen Jeans-Manufaktur. Foto: Carmen Maiwald

Es klingt nach einer absurden Idee, Jeans im Eigenheim zu schneidern. Aber die Güntzels designen und produzieren hier nun schon seit knapp zehn Jahren ihre Geniestreich-Hosen. Es sind ein paar Tausend Stück im Jahr, genauer will Andreas Güntzel nicht werden. „Die Idee zum ‘Geniestreich’ kam mir Anfang 2013“, sagt er. Es war die Zeit, in der sich mehrere schwere Fabrikunfälle in Asien aneinanderreihten. Die Bilder von jungen, verletzten Frauen, unter Trümmern begraben, blieben bei Andreas Güntzel hängen – Stunden, Tage und Wochen nachdem sie längst aus den Nachrichten verschwunden waren. „Ich konnte das nicht mehr ertragen. Das waren 14-jährige Mädchen, etwas älter als meine Tochter“, sagt er. Auf Kleidung, die aus solchen Fabriken kommt, wollte Andreas Güntzel fortan verzichten: „Sowas wollte ich nicht mehr anziehen.“

Als er eine Jeans „Made in Germany“ kaufen wollte, sei das zum damaligen Zeitpunkt nahezu unmöglich gewesen. Also begann er zusammen mit seiner Frau Julia Güntzel selbst Jeanshosen zu produzieren, im Eigenheim. Im Sommer 2014 verkauften die Güntzels ihre erste Hose. Seither produzieren sie ausschließlich Jeans. Mit dem Versprechen: „Mitreißende schöne ökologische Bekleidung”, die hauptsächlich aus Bio-Baumwolle oder nachhaltiger recycelte Baumwolle bestehe.

Die Güntzels geben kaum Geld für Marketing aus, allein in ihre Messestände investieren sie Zeit und Geld. Die meisten Kunden aber erfahren eh über Mundpropaganda von ihnen, sagt Julia Güntzel, und sie kämen aus allen Ecken in Deutschland ihre Manufaktur besuchen. Am riesigen Küchentisch, an dem morgens noch alle sieben Familienmitglieder gefrühstückt haben, berät Julia Güntzel ihren heutigen Kunden. Er ist extra aus Olpe angereist, zwei Stunden mit dem Auto. „Eine in Deutschland produzierte Hose findet man sonst einfach nicht”, sagt der Kunde. Er ist das erste Mal bei den Güntzels. Daher gibt es viel zu tun. Der Kunde muss vermessen werden, sich Stoff und Nähgarn aussuchen. Er soll seine Jeans auf den Leib geschneidert bekommen. Beim Gespräch am Tisch erklärt Julia Güntzel ihrem Kunden alles: vom Garn bis hin zur richtigen Passform. Der Mann aus Olpe entscheidet sich für einen dunklen Jeansstoff und verabschiedet sich. Er will noch im Teutoburger Wald spazieren gehen, wenn er schonmal in der Gegend ist. Wer nicht bis nach Bielefeld kommen mag, kann seine Maße aber auch selbst nehmen, Fotos schicken oder via Video-Call von den Güntzels zum richtigen Vermessen angeleitet werden. „Unser Primärziel ist Wohlgefühl“, sagt Andreas Güntzel. Wer schon eine Lieblingsjeans hat, die perfekt sitzt, kann sie den Güntzels auch per Post schicken. Andreas Güntzel nimmt dann den Schnitt ab und produziert einen Klon, eine zweite Lieblingsjeans: „Wir können Wünsche erfüllen, die sonst keiner erfüllen kann“, sagt er.

Genäht wird im ehemaligen Kinderzimmer. Foto: Carmen Maiwald

Wie fair sind die Geniestreich-Jeans?

Für eine Jeans brauchen die Güntzels zwei bis zweieinhalb Stunden. Wie viele Arbeitsschritte in ihr genau drinstecken, haben sie noch nie gezählt. Anfangs hat Julia auch noch mitgenäht, ihre erste Angestellte hat sie angelernt. Aber Julia war zu langsam. „Wenn wir in der Näherei auf mich angewiesen wären, dann würden wir verhungern“, sagt sie. Bis die Hose bei den Kunden angekommen ist, dauert es je nach Nahtfarbe drei bis vier Wochen. Wenn ein neuer Schnitt angefertigt werden muss, kann es auch mal länger dauern. Drei Menschen nähen in der Geniestreich Manufaktur, mit einer vollen und zwei halben Stellen. Ihren Mitarbeiter:innen zahlen die Güntzels Löhne über dem deutschen Mindestlohn, sagen sie. Die Schnitte zeichnet Andreas Güntzel per Hand. Den Zuschnitt übernimmt eine andere Mitarbeiterin. Jeder einzelne Arbeitsschritt nach dem Weben der Stoffe wird im Wohnhaus in Bielefeld erledigt: Die Stoffe werden hier gewaschen, getrocknet, zugeschnitten, zu Jeanshosen genäht, verpackt.

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