Was ist das Problem?

Es ist eins der vielen kleinen Probleme des Alltags: Die Wahl des richtigen Putzmittels. Das Putzen selbst nervt ja schon genug – wer hat da noch Lust, im Supermarkt die Etiketten zu studieren? Rund die Hälfte der Deutschen jedenfalls nicht, wie eine Forsa-Umfrage 2016 festgestellt hat: Ihr zufolge halten die Menschen Umweltschutz zwar theoretisch auch in den eigenen vier Wänden für wichtig, praktisch setzten sie ihn oft aber nicht um.

So verzichten 46 Prozent der Menschen auf ein ökologisches Reinigungsmittel, weil sie lieber die ihnen vertraute Marke kaufen.  Dabei verschmutzen die in den Putzmitteln enthaltenen Chemikalien teils das Grundwasser und können sogar der Gesundheit schaden – etwa, wenn die teils giftigen Dämpfe eingeatmet werden. Hinzu kommt die Umweltbelastung durch Plastik, denn die meisten Reinigungsmittel werden in Plastikbehältern verkauft, die für den einmaligen Gebrauch gedacht sind, und in einigen ist sogar zusätzlich Mikroplastik enthalten.

564.000 Tonnen Chemikalien landen laut Umweltbundesamt durch Wasch- und Reinigungsmittel pro Jahr in Deutschland im Abwasser

Was ist der Ansatz von Everdrop?

So kann das nicht weitergehen, dachten sich drei Freunde aus München. So lautet zumindest die Gründungsgeschichte. Gemeinsam gründeten sie Ende 2019 das Start-up Everdrop und schrieben sich auf die Fahnen, eine „Putzmittel-Tabs Revolution“ anzetteln zu wollen. Konkret heißt das: Everdrop produziert und vertreibt Putzmittel in Form von Tabs, Tabletten also, die in Wasser aufgelöst zu Putzmittel werden.

Die Idee dahinter: Wenn man anstelle von flüssigem Reinigungsmittel Putzmittel in Tab-Form verkauft, wird die Umwelt doppelt geschont, weil weniger CO2 beim Transport anfällt und keine Einwegflaschen mehr benötigt werden. Mitgründer David Löwe erklärt im Gespräch mit Flip, die Freunde hätten sich in einer Sinnkrise gefragt, wie sie ihre Arbeitskraft sinnvoll einsetzen könnten.

»Wir hatten keine Lust mehr, mit unserer Arbeit die Klimakrise noch schlimmer zu machen und haben uns gefragt, was wir besser machen können.« David Löwe, Everdrop

Bei diesen Überlegungen seien sie am heimischen Putzmittelschrank mit seinen Unmengen an Plastik hängengeblieben. „Wir haben uns gedacht, dass es doch richtig ineffizient ist, dass Konzerne tonnenweise Wasser in Form von Reinigungsmitteln durchs Land fahren damit wir Wegwerfplastik kaufen.“ Auch der „Chemie-Keule“, die in vielen Reinigungsmitteln stecke, habe man mit Everdrop den Kampf ansagen wollen.

Das Ergebnis gibt es heute auf einer schicken Website zu kaufen. Dort bietet Everdop drei verschiedene Tabs an, die für die Reinigung von Küche, Bad oder Glasoberflächen gedacht sind. Außerdem gibt es seit vergangenem Sommer Waschmittel, das entsprechend der Wasserhärte dosiert wird und seit dem Herbst die sogenannten „Naked Tabs“ – Spülmaschinen-Tabs, die nicht in Plastikfolie eingewickelt sind.

Die drei Everdrop-Gründer Chris Becker, Daniel Schmitt-Haverkamp und David Löwe

Obwohl das Unternehmen gerade mal etwas mehr als ein Jahr alt ist, hat es bereits Millionen von Tabs verkauft. Mehr als hunderttausend Menschen folgen ihm auf Instagram, rund dreimal soviel wie dem Putz-Riesen Henkel. Die Gründer hätten bewiesen, „dass sie einen an sich gesättigten Markt komplett aus den Fugen heben können“, schwärmt Norbert Muschong von Vorwerk Ventures in der Wirtschaftswoche. Insgesamt haben Investoren bereits 18 Millionen Euro in das Startup gepumpt. Everdrop soll das nächste ganz große Ding werden. Die Vision der Investoren sei ein “Unicorn”, sagte Löwe kürzlich in einem Podcast. So nennt man in der Startup-Szene Unternehmen, die mit mehr als einer Milliarde Euro bewertet werden.

Hat Everdrop den Markt wirklich revolutioniert?

Man habe den „Haushaltsreinigermarkt revolutioniert“, heißt es auf der Website des Unternehmens ziemlich selbstbewusst. Aber stimmt das auch?

Nun ja, die Geschichte ist in Wahrheit etwas komplizierter. Es geht dabei auch um einen Clash der Kulturen, der in der Welt der Weltverbesserer gerade zu beobachten ist – und sich in der Geschichte um die Reinigungs-Tabs spiegelt.

Auf der einen Seite stehen Menschen wie Markus Winkler. Er betreibt seit 18 Jahren einen Bio-Laden im oberbayerischen Bruckmühl. Als er 2016 mit seiner Familie in Thailand Urlaub macht, sieht er eine leere Spülmittelverpackung im Meer schwimmen. Er denkt sich, dass man die Flasche doch mehrfach benutzen könnte und beginnt kurz darauf, Reinigungs-Tabs zu entwickeln, die man zu Hause in Leitungswasser auflösen kann – ohne eine neue Flasche zu kaufen. „I hob die erfunden“, sagt Winkler. Zumindest in Deutschland war er tatsächlich als erstes auf dem Markt.

"I hob die erfunden": Biobaula-Gründer Markus Winkler

Die Entwicklung der Tabs dauert zwei Jahre. Winkler arbeitet dabei mit der Universität Barcelona zusammen. 2018 bietet er seine Tabs testweise bei sich im Laden an. Sein Unternehmen Biobaula, das die Tabs heute vertreibt, gründet er wenig später. Investoren hat er keine. Seine Tabs lässt er von unabhängigen Anbietern wie Ecocert oder Flustix als besonders umweltverträglich und frei von Mikroplastik zertifizieren. Ruft man bei Biobaula an und fragt nach einem Ansprechpartner für die Presse, ruft Winkler ein paar Minuten später persönlich zurück und doziert auf Bayrisch über die Zutaten seiner Tabs: Über Spirulina-Algen etwa oder Bio-Palmkernöl aus Venezuela.

Als Winkler Biobaula gründet, sind die Everdrop-Gründer noch ganz anders unterwegs. Löwe hat eine Marketing-Agentur und bietet mit “Upgrades to Heaven” Vorteile in Luxus-Resorts etwa auf Mauritius oder den Malediven. Chris Becker ist „Head of Marketing Communications“ bei BMW, Daniel Schmitt-Haverkamp Mitgründer von Pink, einem Start-Up für Tampons ohne Faden, die beim Sex nicht stören sollen. Zuvor hat er schon einen Fondsvermittler und ein Vergleichsportal für Medizintechnik gegründet.

Everdrop gründen die Freunde aus München Ende 2019. So viel Zeit wie Winkler nehmen sie sich für die Entwicklung ihrer Tabs nicht. Bis heute ist unklar, wer sie überhaupt für Everdrop herstellt. Besonders nachhaltig sind die Zutaten anfangs nicht. Die Tenside, die für den Putzeffekt sorgen, basieren zunächst auf Erdöl. In der Verpackung findet sich Mikroplastik. Zertifiziert ist nix.

Wieso ist Everdrop dann so erfolgreich?

Binnen weniger Wochen wird Everdrop auf Instagram zum Star. Das Startup schaltet viele Anzeigen. Man kommt kaum an ihm vorbei. Und der Mix aus schönem Design und nachhaltigen Versprechen schlägt ein. Nach sieben Wochen hat Everdrop über 24.000 Follower, nach einem Jahr die ganze Branche abgehängt. Mittlerweile hat es 114.000 Follower und liegt damit weit vor Biobaula oder dem Berliner Unternehmen Klaeny, das seit seit Anfang vergangenen Jahres ebenfalls auf dem Tab-Markt mitmischt.

Wie das funktioniert? Ein Beispiel ist die Zusammenarbeit mit Pamela Reif. Dem Internet-Superstar folgen allein auf Instagram 7,5 Millionen Menschen. Sie ist damit eine der erfolgreichsten deutschen Influencer:innen, in einer Liga mit Jerome Boateng oder Heidi Klum. Für Everdrop posiert sie oberkörperfrei auf Instagram und schreibt dazu: “Oops, it´s naked.” Genauso nackt wie die Tabs von Everdrop, die ohne Plastikverpackung auskommen. Reif ist nicht die Einzige. Eine ganze Reihe von Influencer:innen hat für Everdrop die Hüllen fallen lassen, mehr oder weniger nackt stehen sie in ihren Küchen oder Wohnzimmern, in der Hand ein Pappschild mit dem Everdrop-Schriftzug: “Besser nackt als in Plastik verpackt.” Hinzu kommt der “Deutsche Nachhaltigkeitspreis”, den Everdrop gewonnen hat und prominent bewirbt. Allerdings wurde er in der Kategorie “Design” verliehen.

"Oops, it´s naked": Instagram-Star Pamela Reif lässt für Everdrop die Hüllen fallen

“Den Job, die die Marketing-mäßig machen, ist der Knaller, da ziehe ich den Hut”, sagt Biobaula-Gründer Winkler. “Die blasen das jetzt richtig auf.” Mindestens eine halbe Million Euro müsse Everdrop für die Kooperationen mit Influencern ausgegeben haben, schätzt die Marketing-Expertin Heike Liebermann von Liebermann Communications. Everdrop selbst äußert sich auf Nachfrage nicht zu den Kosten des Instagram-Marketings. “Die genauen Beträge darf ich leider nicht kommunizieren, tut mir leid”, schreibt David Löwe.

Wie nachhaltig ist Everdrop?

Nun ist es nicht weiter schlimm, viel Geld für Instagram-Werbung auszugeben, wenn das am Ende dem Ziel eines nachhaltigeren Konsums dient. Aber wie nachhaltig sind die Everdrop-Tabs? Darüber haben wir mit vielen Experten gesprochen – und natürlich mit David Löwe.

1. Wie bio ist Everdrop?

David Löwe besteht in Interviews darauf, dass die Inhaltsstoffe “bestmöglich nachhaltig” seien. Doch das Unternehmen macht es einem nicht leicht, zu beurteilen, ob das stimmt. Immer wieder hat Löwe, wenn er etwa nach Umwelt-Zertifikaten gefragt wurde, auf die hohen Kosten von Laboruntersuchungen verwiesen. Diese, so sagte er im Sommer 2020, seien “einfach irre teuer, die Kosten gerne mal fünfstellig”. Aber darf das noch ein Argument sein, wenn man offenbar sechsstellige Summen für Instagram-Werbung ausgibt und achtstellige Summen von Kapitalgebern einsammelt?

Die Pressesprecherin von Everdrop schickt einen Link zu einer noch unveröffentlichten Homepage. Darauf sind die Logos verschiedener Zertifikate zu sehen. Fragt man nach, für welche Produkte sie denn verliehen wurden, antwortet Löwe allerdings ausweichend. Einzig konkrete Aussage: Die Bio-Handels-Tabs, die es seit einem Monat bei Alnatura gibt, seien Ecocert-zertifiziert. Erst nach einer weiteren schriftlichen Nachfrage wird klar: All die anderen Tabs, die Everdrop seit mehr als einem Jahr in seinem Online-Shop verkauft, sind es nicht. Tristan Jorde von der Verbraucherzentrale Hamburg sagt:

»Die Durchschau der Sicherheitsdatenblätter zeigt mir sehr konventionelle Formulierungen aus Säuren, Natron und Hilfsstoffen, wenig Spur von öko und überall stecken auch noch Parfüm und Farbstoffe drin.« Tristan Jorde, Verbraucherzentrale Hamburg

Ein Inhaltsstoff, über den mehrere Fachleute stolpern, mit denen Flip und ZEIT ONLINE gesprochen haben,  ist das Benzolderivat “Benzene C10-13-alkyl Derivs”, das Everdrop in den Küchenreiniger-Tabs verwendet. Benzol wird üblicherweise aus Erdöl gewonnen und ist hochgiftig. Auf Nachfrage erläutert Löwe, dass der Stoff nur in “sehr, sehr kleiner Menge” für die Produktion des Farbstoffs genutzt werde und ergänzt: “Leider können wir derzeit nicht komplett ausschließen bzw. zurückverfolgen, ob ein geringer Anteil an Erdöl enthalten ist.” Auf Facebook klang das noch etwas anders. Dort antwortete Everdrop auf kritische Nachfrage von Kunden zu den Inhaltsstoffen: “Für unsere Tabs verzichten wir auf alles, was unnötig Umwelt oder Gesundheit belastet.”

Besonders bio sind die Tabs also nicht.

2. Sparen die Tabs CO2 ein?

Die Idee, dass durch die Tabs CO2 eingespart würde, weil kein unnötiges Wasser transportiert werde, klingt einleuchtend. Umweltexperte Jorde weist aber darauf hin, dass man in eine solche Rechnung den Herstellungsprozess einbeziehen müsse.

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