Balkonkraftwerke werden immer beliebter – aber das Potenzial ist längst nicht ausgeschöpft. Warum ausgerechnet die Macher:innen des Kondom-Startups Einhorn das nun ändern wollen.
Für Individuen ist es oft gar nicht so einfach, selbst Teil der Energiewende zu sein. Klar, man kann einen Ökostromanbieter nutzen und Strom sparen. Aber darüber hinaus, mit Photovoltaik auf dem Dach selbst Strom zu gewinnen, ist oft kompliziert, teuer und nichts für Mieter:innen. Balkonkraftwerke haben das Potenzial, das zu ändern: Die Solarzellen für den Balkon wurden in den letzten Jahren immer beliebter. Mittlerweile wurden mehr als 400.000 Balkonkraftwerke bei der Bundesnetzagentur registriert, davon allein 50.000 in diesem Jahr. Das sind bemerkenswerte Zahlen, das Potenzial ist aber noch längst nicht ausgeschöpft. Immerhin haben in Deutschland rund 60 Millionen Menschen Zugang zu einem Balkon. Zusammen könnten sie noch viel mehr Strom dezentral produzieren.
Was ist der Ansatz von Zweihorn Energy?
Das Balkonkraftwerke-Start-Up Zweihorn Energy will noch mehr Menschen erreichen. Die Geschichte dahinter ist ungewöhnlich. Denn zwei der Gründer:innen haben zuvor das Unternehmen Einhorn aufgebaut, das vegane, nachhaltige Kondome produziert – und für ziemlich knalliges, unkonventionelles Marketing bekannt ist.
Wie also kommt man von Kondomen zur Solarenergie? Elisa Naranjo, die Zweihorn Energy zusammen mit Waldemar Zeiler und Kian Pariwar gegründet hat, erklärt das so: „Durch unsere Arbeit bei Einhorn haben wir uns schon viel mit den planetaren Grenzen und fairen Lieferketten auseinandergesetzt, wir wollten aber aktiv dazu beitragen, die Klimakrise zu lösen.” Schnell sei die Idee gekommen, sich an der Energiewende zu beteiligen: „Wir wussten aber lange nicht, was unsere Rolle sein könnte. Dann sind wir auf Balkonkraftwerke gestoßen und hatten einen Aha-Moment.” Die Idee: Wenn von den knapp 60 Millionen Menschen, die Zugang zu einem Balkon haben, insgesamt drei Millionen Menschen auf ihrem Balkon Strom produzieren, könnte man damit theoretisch ein mittelgroßes Kohlekraftwerk überflüssig machen und so fast 1 Millionen Tonnen CO2 im Jahr einsparen.
Balkonkraftwerke sind Photovoltaik-Module, die an Balkonen angebracht werden und Solarstrom erzeugen. Im Wesentlichen bestehen sie aus drei Teilen: einem Solarpanel, einem Wechselrichter, der die Sonnenenergie umwandelt, und einem Stecker für die Steckdose. „Es ist eine Technologie, die extrem niedrigschwellig ist und die jede:r nutzen kann, um die Energiewende voranzutreiben”, sagt Elisa Naranjo. Und: Das kann sich schon nach wenigen Jahren rechnen. Praktisch aber gibt es dann doch oft ein paar Hindernisse, die Menschen abschrecken. Hier will Zweihorn Energy ansetzen. Wie schon bei Einhorn ist das Marketing knallig und es gibt viel nackte Haut zu sehen. Rechtlich aber ist das Solar-Startup unabhängig von Einhorn und wurde als GmbH in Verantwortungseigentum gegründet. Das heißt, alle Gewinne bleiben im Unternehmen und es gibt keine klassischen Investor:innen. Mit einer Crowdfunding-Kampagne wird aktuell Geld gesammelt, um die ersten Balkonkraftwerke zu produzieren. Wer die Kampagne unterstützen will, kann aus verschiedenen Paketen wählen – ein einzelnes Balkonkraftwerk kostet 549 Euro.
Was ist das Besondere an ihren Produkten?
Auf dem deutschen Markt gibt es inzwischen schon viele verschiedene Anbieter für Balkonkraftwerke. Warum also braucht es noch ein weiteres Unternehmen? „Bisher werden Balkonkraftwerke vor allem von Männern gekauft, die gerne in den Baumarkt gehen und sich in die Technik einfuchsen”, sagt Elisa Naranjo. Um weitere Zielgruppen zu gewinnen, will Zweihorn “den Fokus auf Einfachheit” legen, wie sie sagt. Der Experte Volker Stelzer vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) bestätigt diese Einschätzung: „Oft sind Solar-Module sehr schwer und es ist für Einzelne eine Herausforderung, sie anzubringen”. Auch er glaubt, dass eine einfachere Handhabung zukünftig noch mehr Menschen zum Mitmachen bewegen könnte.
Das Unternehmen gibt an, dass die Produkte 80 Prozent weniger als vergleichbare Geräte wiegen, etwa 4 Kilo pro Paneel. Außerdem haben sie eine Alu-Halterung, mit der man die Paneele anwinkeln kann. Je nach Standort könne man so mehr Sonnenenergie ernten, sagt Naranjo. „Wir wollen außerdem vormontieren, was möglich ist. Damit Nutzer:innen nur noch die Halterung festmachen müssen und die Paneele anschließend wie ein Handtuch über den Balkon legen können.”
Abgesehen davon, Balkonkraftwerke auch für Technik-Unbegeisterte interessant zu machen, wolle Zweihorn langfristig transparente und faire Lieferketten aufbauen, so Naranjo. Auf der Website wird die aktuelle Lieferkette bereits offengelegt: Die Balkonkraftwerke werden bei der Firma Sunology in Frankreich bestellt, die ihre Module und den Wechselrichter wiederum aus China bezieht. „An China führt aktuell leider noch kein Weg vorbei”, sagt Naranjo. Denn: Solarzellen werden aus Polysilizium-Scheiben gemacht, die größtenteils aus China kommen – teilweise auch aus der Region Xinjiang, in der die Unterdrückung der muslimischen Minderheit der Uiguren immer wieder für Schlagzeilen sorgt. In Zukunft könnte Zweihorn laut Naranjo etwa mit dem Unternehmen OPES Solution zusammenarbeiten, das gerade eine Leichtmodulfabrik in Leipzig plant. „Aber um faire Lieferketten aufzubauen, brauchen wir Zeit, politische Rahmenbedingungen und genügend Nachfrage.”
Und wie läufts bisher?
Als die Kampagne im März startete, lag das Fundingziel bei 2,5 Millionen Euro. In den ersten vier Wochen kamen aber nur knapp 150.000 Euro zusammen. „Wir haben zwar Fans, aber noch nicht so viele Kund:innen”, erklärt Elisa Naranjo. Sie und ihre Kolleg:innen hätten in den letzten Wochen sehr viele positive Nachrichten bekommen, die zeigten, dass die Menschen Lust hätten, die Energiewende selber anzugehen. „Aber bis eine Kaufentscheidung getroffen wird, dauert es oft länger, weil sich die Menschen erst damit beschäftigen müssen, wie Balkonkraftwerke genau funktionieren und ob sie sich für das eigene Zuhause eignen.”
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