“Und wir starten mit dem Angebot des Tages”, trällert die Moderatorin: “Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, gehen Sie gleich in die Leitung, weil ich rechne mit einer vorzeitigen Ausverkaufsmeldung.” Es ist ein Dienstag im März und im Studio des Teleshoppingkanals HSE ist man auf Sendung. Für Thomas Isermann, den Gründer des Münchner Start-ups Greenforce, ist das heute ein besonderer Tag, er ist gleich bei fünf Sendungen hintereinander zu Gast. Von acht Uhr morgens bis zehn Uhr abends. Den ganzen Tag: “Greenforce Live-Kochshow”.
“Meine Damen und Herren”, sagt Thomas Isermann, “ich präsentiere Ihnen jetzt das gesündeste Hackfleisch der Welt.” Isermann: weiße Hose, weißes Hemd, weißes Lächeln. Vor ihm zwei Schüsseln mit Hack. In eine hat er mit Zahnstochern kleine Kärtchen mit traurigen Emojis gesteckt:
Antibiotika 🙁 Fett 🙁 Tierwohl 🙁
Das ist das echte Fleisch. Das Hack in der anderen Schüssel laut Isermann: Frei von Cholesterinen. Fast kein Fett. Gut für Umwelt und Tierwohl. Und “picke, packe voll mit Proteinen!” Das ist das Hack von Greenforce. Ein veganes Hackfleisch in Pulverform, anzurühren mit Wasser und ein wenig Öl. Und wenn Sie mal lesen, sagt Isermann, auch mal die Bildzeitung anschauen, da stehe drin, Greenforce sei “der Ferrari unter den veganen Burgern”. Das komme ja nicht irgendwo her.
Tatsächlich kommt es nicht von irgendwo her, sondern von ihm selbst: Isermann hatte das Ferrari-Zitat 2020 in einem Bild-Interview gegeben. Die Abendzeitung zitiert ihn, wie er das Erbsenprotein in seinem Burger als “Porsche unter den Proteinen” bezeichnet. Im Handelsblatt sagte er, Greenforce sei die “europäische Antwort auf Beyond Meat”. Also auf jenen US-amerikanischen Fleischersatz-Hersteller, der seit seiner Gründung 2009 raketenartig wächst und an der Börse mittlerweile rund eine Milliarde US-Dollar wert ist. Und im Online-Magazin “This is vegan” sagt Isermann:
»Greenforce soll die größte Food-Revolution in der industriellen Menschheitsgeschichte werden.« Thomas Isermann, Greenforce
Isermann, so viel ist klar, will hoch hinaus. Und hat es dabei immerhin schon ins Käferzelt geschafft. Im Oktoberfestzelt, in dem sich die Münchner Prominenz versammelt, steht seit vergangenem Jahr die vegane Greenforce-Weißwurst auf der Karte – was man im konservativen Wiesn-Milieu tatsächlich als Revolution verstehen kann: In der Bild berichtete die Kabarettistin Monika Gruber, die Greenforce-Wurst schmecke “wie Montage-Schaum, der in ein Kondom abgefüllt wurde, mit einer leichten Kalk-Note im Abgang.”
Festzeltwirt Michael Käfer lässt sich davon nicht beirren und will nun auch noch Greenforce-Leberkäse anbieten. Er ist laut Greenforce nur einer von vielen Investoren, die zusammen mindestens 28 Millionen Euro in das Start-up steckten – und deren Namen sich wie eine Käferzelt-Gästeliste lesen: Holger Beeck, ehemaliger McDonald’s-Deutschland-Chef ist dabei, TV-Moderator Joko Winterscheidt und Fußball-Nationalspieler Thomas Müller, zu dem Greenforce-Gründer Isermann auch eine Geschichte parat hat. Als der Bayern-Spieler einmal nach dem Training zu ihm kam, erzählt Isermann im Podcast “Lenas Start-ups”, habe er ihm gleich acht vegane Leberwurstbrote hintereinander schmieren müssen, um ihn satt zu kriegen.
Die Veggie-Branche boomt. Laut Statistischem Bundesamt wuchs die Produktion von Fleischalternativen 2021 um 17 Prozent. In dem hart umkämpften Markt ist Greenforce schnell aufgestiegen. Erst 2020 gegründet, erzielt Greenforce nach eigenen Angaben bereits achtstellige Umsätze und vermeldete, man sei laut dem Marktforschungsinstitut IRI “die am schnellsten gewachsene Marke im pflanzlichen Fleischalternativsektor”.
Was aber steckt hinter der großen Greenforce-Revolution? Sind die Produkte tatsächlich so gesund, wie das Unternehmen behauptet? Und wie nachhaltig ist das “nachhaltigste Pflanzenfleisch der Welt” (Isermann) wirklich? Diesen Fragen ist Flip gemeinsam mit ZEIT ONLINE nachgegangen.
Die große Pulver-Revolution von Greenforce beginnt 2020. In diesem Jahr gründet Thomas Isermann das Unternehmen zusammen mit Hannes-Benjamin Schmitz. Isermann hatte zuvor Valuezon gegründet, laut Website eine “Full-Service Amazon Beratung”, die Firmen beim Vertrieb unterstützt. Schmitz hatte laut einer Greenforce-Pressemitteilung bereits mit dem Unternehmen Emma Sleep den Matratzenmarkt revolutioniert. Nun also Fleischersatz. Acht Jahre lang, erzählt Thomas Isermann im Podcast “Lenas Start-ups”, hätte man an pflanzlichen Proteinen geforscht. Am Ende sei ein Pulver herausgekommen, auf Basis der Königserbse, aus dem man selbst eine fleischähnliche Masse herstellen kann. “Durch die innovative Pulverform ist dem Food-Tech-Start-up die Schaffung einer neuen Produktkategorie gelungen”, schreibt Greenforce in einer Pressemitteilung.
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