Was ist das Problem?
Seit den 1950er Jahren ist die Fläche an Streuobstwiesen in Deutschland dramatisch geschrumpft. Das ist schlecht für die Artenvielfalt. Denn anders als moderne Obstplantagen sind Streuobstwiesen ein wichtiger Lebensraum für über 5.000 zum Teil bedrohte Tier- und Pflanzenarten. Das liegt daran, dass auf Streuobstwiesen typischerweise verschiedene Obstbäume verstreut in der Landschaft stehen. Es gibt Blumenwiesen, alte, teils tote Bäume spenden Schatten. Es handelt sich um artenreiche Biotope, vergleichbar einem Korallenriff im Meer.
Trotzdem wurden Streubobstwiesen lange vernachlässigt. In den 1970er-Jahren wurde ihre Rodung sogar staatlich finanziert. Sie mussten monokulturellem Anbau und Wohnflächen weichen. Heute weiß man zwar um den Wert der Wiesen für unsere Umwelt. Im vergangenen Jahr wurde der Streuobstanbau sogar zum Immateriellen UNESCO Kulturerbe erklärt. Das alles aber konnte den Rückgang der Wiesen nicht stoppen.
80 Prozent beträgt der Rückgang der Streuobstwiesen seit den 1950er Jahren in Deutschland nach einer Schätzung des Naturschutzbund Deutschland (NABU)
Was ist der Ansatz von Ostmost?
Dass es den Streuobstwiesen schlecht geht, hat der Ostmost-Mitgründer Bernd Schock mit eigenen Augen gesehen: Bei einem Ausflug ins Umland von Berlin sah er zu, wie ein Landwirt alte Obstbäume abholzte – auf einer Streuobstwiese, erzählt Schock am Telefon. Als er mit dem Landwirt ins Gespräch kam, verstand er, wo das Problem liegt: Die Wiese war für den Landwirt wirtschaftlich nicht mehr tragbar. Die Bäume beschneiden, von Hand ernten, die Wiesen pflegen, all das kostet viel Zeit und bringt wenig Geld. Im Vergleich zu modernen Obstplantagen, in denen Monokulturen in Reih und Glied stehen, sind Streuobstwiesen nicht sehr rentabel.

Kurzerhand gründete Schock zusammen mit seinem Freund Dennis Meier den Verein „Äpfel und Konsorten“, um Streuobstwiesen zu schützen. Sie pachteten Wiesen, pflanzten und pflegten Bäume und warben Baumpat:innen an, die sie finanziell unterstützen und ihnen ehrenamtlich bei der Bewirtschaftung halfen. Doch schnell wurde ihnen klar: Nur gemeinnützige Arbeit reicht nicht, um den Verfall der Streuobstwiesen aufzuhalten.
»Wer etwas verändern will, muss Streuobstwiesen wieder wirtschaftlich machen.« Lukas Küttner, Mitgesellschafter bei Ostmost
Eine Getränkemarke für Streuobst-Saft sollte die Lösung sein. 2014 gründeten Meier und Schock daher die Firma hinter Ostmost. Aus deutschem Streuobst produziert sie Saft, Apfelschaumwein und Schorlen. In über 500 Bars und Gaststätten und in Bio-Supermärkten wie Alnatura und Denn’s steht Ostmost seither auf Getränkekarten und in den Regalen. Letztes Jahr verkaufte Ostmost knapp über eine Millionen 0,33-Liter-Flaschen. Dieses Jahr sollen es über zwei Millionen werden. Im Supermarkt gibt es Ostmost auch in 0,7-Liter-Flaschen. Mitgründer Bernd Schock ist inzwischen zwar ausgeschieden. Das Prinzip aber ist geblieben. Schutz durch Nutzung, nennt es Lukas Küttner, der später als Mitgesellschafter dazu kam. Indem Ostmost die Streuobstwiesen wirtschaftlich mache, würde das Unternehmen sie schützen.
Und funktioniert das auch?
Darüber hat Flip-Autorin Carmen Maiwald ausführlich mit Lukas Küttner gesprochen, einem der Gesellschafter von Ostmost.

1. Was zahlt Ostmost den Bauern und Bäuerinnen?
Ostmost kauft das Streuobst für ihre Getränke ausschließlich bei Landwirt:innen in Deutschland. Anfangs – der Name verrät es – hat es das Obst nur in Ostdeutschland bezogen. Weil das Unternehmen aber mittlerweile immer mehr Saft presst und dafür immer mehr Obst braucht, arbeitet es nun auch mit Streuobstbauern aus Bayern und Baden-Württemberg zusammen. Über 2.000 Tonnen Streuobst hat Ostmost seit der Gründung eingekauft und zu Saft und Cidre verarbeitet.
Für 100 Kilo Mostäpfel zahlt Ostmost den Landwirt:innen 20 bis 40 Euro. Zum Vergleich: 100 Kilo Mostäpfel von der Plantage werden zwischen drei und sechs Euro gehandelt. Die Preise, die Ostmost zahlt, sind also ziemlich fair für die Landwirt:innen.
Was Ostmost jedoch nicht weiß: Wer hilft den vielen kleinen Bauern bei der aufwendigen Ernte und werden diese Menschen fair bezahlt? „So tief sind wir nicht drin“, sagt Küttner am Telefon. Teilweise würden sich in Vereinen über 200 Streuobstbauern zusammenschließen, jeden einzelnen auf faire Arbeitsbedingungen und Bezahlung zu überprüfen, sei aktuell nicht machbar.
Eine 0,7-Liter-Flasche Ostmost-Apfelsaft kostet ungefähr drei Euro, also etwa doppelt so viel wie ein Bio-Apfelsaft bei Rewe oder Edeka. Wie viel davon am Ende an die Bauern geht und wie groß der eigene Gewinn ist, macht Ostmost im Detail nicht transparent, das variiere von Jahr zu Jahr, erklärt Küttner. Er schätzt: Etwa ein Drittel der Einnahmen würden an die Landwirt:innen gehen.

2. Wie gut ist der Saft?
Ostmost arbeitet nur mit Landwirt:innen zusammen, deren Streuobst biozertifiziert und naturbelassen ist. Das heißt: Die Bauern verwenden keine Pestizide, Herbizide oder künstlichen Dünger auf ihren Streuobstwiesen. So will Ostmost mit den Getränken eine „zertifizierte Bio-Qualität“ liefern.
Die Obstbauern bringen ihre Ernten direkt zur Kelterei, wo alle Apfelsorten vermischt und zu Direktsaft gepresst werden. Verarbeitet werden auch solche Apfelsorten, die man im Supermarkt kaum noch findet, weil sie dem Handel etwa zu klein oder nicht rund genug sind. Dazu gehören der “Minister von Hammerstein” oder auch der “Geflammte Kardinal”. Das alles kann dazu führen, dass die Ostmost-Saftchargen nicht immer gleich schmecken. Denn egal ob säuerlich, süß, mild oder herb, für die Schorlen und Säfte werden alle Apfelsorten verwendet, die auf den Streuobstwiesen geerntet werden. Damit trägt Ostmost dazu bei, die genetische Vielfalt von Obstbäumen zu erhalten.
2019 sprach Stiftung Warentest jedoch ein vernichtendes Urteil über die Ostmost-Apfelschorle aus, die sie testete. Das Ergebnis: mangelhaft. Laut chemischen Analysen müsse Ostmost zum Teil verdorbene Äpfel verwendet oder das Obst nicht sorgfältig verarbeitet haben. Nichts davon sei jedoch gesundheitsschädigend.
Küttner erklärt: „Die Charge, die Stiftung Warentest geprüft hat, war eine Katastrophen-Charge bei uns.“ Der Tanklaster, in dem der Saft von der Kelterei in die Füllanlage gebracht wurde, sei verunreinigt gewesen. Ostmost teste bei jeder Charge einzelne abgefüllte Flaschen, um sicherzugehen, dass nichts schiefgelaufen sei und die Säfte nicht gären – was schneller passieren kann, wenn das Obst nicht behandelt ist. Von hunderten Chargen sei das Problem mit der Gärung jedoch nur das eine Mal aufgetreten.
Auch Flip hat verschiedene Ostmost-Getränke probiert. Keines war vergoren. Die Apfelschorle schmeckt nicht so süß und ein bisschen herb. Aber wie gesagt, es kommt immer ein bisschen drauf an welche Art von Äpfeln für den Saft gepresst wurden.
3. Wieviel bringt es den Wiesen?
Wer Streuobstwiesen retten will, muss sie wirtschaftlich machen – das war der Ausgangspunkt der Ostmost-Gründung. Acht Jahre nach der Gründung steht Ostmost mit dieser Mission aber immer noch recht am Anfang. Mitgesellschafter Lukas Küttner rechnet vor: Von einem Verkauf von ein bis zwei Millionen Flaschen, wie man ihn zurzeit schaffe, könnten vielleicht sieben große Streuobstbauern ganz gut leben. „Das ist noch keine Marktveränderung“, sagt er, „wir wollen, dass hunderte davon gut leben können.“
Die Corona-Jahre haben auch Ostmost zugesetzt, gerade in Bars, die über Monate geschlossen waren, wurde kaum etwas verkauft. 2020 konnte das Unternehmen seinen Umsatz zwar steigern, hat aber Verluste erwirtschaftet. Nun will es ab Juli frisches Geld über ein Crowdinvesting einsammeln, bei dem viele Einzelpersonen auch schon mit kleinen Beträgen in Ostmost investieren können.

Und was sagt die Expertin?
Jennifer Krämer koordiniert für den Naturschutzbund Deutschland (NABU) ein Forschungs- und Entwicklungsprojekt zur ökologischen Bedeutung von Streuobstwiesen. Sie sagt:
»Es ist durchaus sinnvoll, Streuobstwiesen auch wirtschaftlich zu nutzen. Denn wenn Menschen daraus ihren Lebensunterhalt verdienen, ist der Ansporn viel höher, sich um den Erhalt zu bemühen.«
Dass Ostmost den Landwirt:innen mehr als die marktüblichen Preise zahle, sei sehr wichtig, so Krämer. Gerade weil es so aufwendig sei, Streuobstwiesen zu bewirtschaften, müsse auch ihr gesellschaftlicher Wert honoriert werden.
Flip-Score: So bewertet ihr Ostmost
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