Was ist das Problem?
Grüne Produkte boomen. Doch wir haben immer wieder gezeigt: So nachhaltig wie sie sich geben, sind viele Unternehmen nicht. Unter anderem liegt das daran, dass man in Deutschland nur schwer gegen Greenwashing vorgehen kann. Es gibt kein Gesetz, das vor falschen Versprechen schützt. Öko und nachhaltig darf sich jeder nennen!
Davon profitieren Firmen wie das Milch-Unternehmen Arla. Alle 40 Sekunden pupst eine Kuh klimaschädliches Methangas in die Luft. Rechnet man auch noch das Futter mit ein, ergibt sich für Milch eine ziemlich schlechte Klimabilanz. Trotzdem druckte Arla auf die Milchpackung: “-71 % CO2“. Und: “Zusammen für mehr Nachhaltigkeit.“ Erst im Kleingedruckten auf der Rückseite erfuhr man, dass die CO2-Einsparung sich nur auf die Verpackung bezieht. Bei Bio-H-Milch ist diese im Schnitt aber gerade mal für 2,5 Prozent der gesamten Treibhausgase eines Liter Milch verantwortlich.
Die Organisation Foodwatch zeigte Arla deswegen vor zwei Jahren bei der Lebensmittelüberwachung an. Doch ein Gericht entschied: Von einem Durchschnittsverbraucher könne man erwarten, Fußnoten zu lesen und zu verstehen. Arla durfte weiter Greenwashing betreiben.

Der Anti-Greenwashing-Plan der EU
Die EU-Kommission hat Ende März ein Gesetz vorgeschlagen, das Produkte nachhaltiger machen soll. Darin enthalten: Vier Maßnahmen gegen Greenwashing. Die Kommission will dafür die EU-Richtlinie zu unlauteren Geschäftspraktiken ändern und Greenwashing auf eine sogenannte schwarze Liste setzen. Auf deren Basis könnte man grüne Werbelügen dann anzeigen. Wer bisher in Deutschland gegen Greenwashing klagt, tut das meist wegen “irreführender Werbung”. Doch da dieser Punkt sich nicht explizit auf umweltbezogene Werbung bezieht, haben die Gerichte viel Spielraum. Der Fall von Arla zeigt, dass selbst Klagen gegen ziemlich eindeutiges Greenwashing nicht immer erfolgreich sind.
Wird das wirklich helfen?
Flip-Autorin Carmen Maiwald hat die vier zentralen Anti-Greenwashing-Vorschläge der EU-Kommission für Euch gecheckt.
Vorschlag 1: Beweise für Öko-Werbung
Was schlägt die EU-Kommission genau vor?
Wer vage Aussagen wie “umweltfreundlich“ oder “nachhaltig” nicht mit einem Siegel belegen kann, muss sich einer externen Prüfung unterziehen, um die Aussage zu beweisen.
Und kann das wirklich helfen?
Bisher brauchen Unternehmen keine Belege dafür, wie “grün“ ihre Produkte sind. Überhaupt Beweise liefern zu müssen, könnte ein großer Schritt sein, um Greenwashing einzudämmen. Thomas Fischer von der Deutschen Umwelthilfe gibt aber zu bedenken: Unternehmen können nach dem EU-Vorschlag selbst entscheiden, von wem sie sich prüfen lassen – und die Prüfer:innen bezahlen. Er sagt: “Gefälligkeitsgutachten sind also nicht ausgeschlossen.“ Auch hat die EU keine Prüfkriterien festgelegt. Das könnte das System anfällig für Missbrauch machen.
Fazit: Es hängt davon ab, wie gut die Versprechen überprüft werden.

Vorschlag 2: Standards für Siegel
Was schlägt die EU-Kommission genau vor?
Bisher ist nicht festgelegt, was überhaupt ein Nachhaltigkeitssiegel ist – und wer es vergeben darf. H&M und Adidas werben etwa mit einem Siegel der Better Cotton Initiative (BCI) für nachhaltige Baumwolle. Über die Kriterien dieses Siegels entscheiden Adidas und H&M aber selbst mit – denn sie gehören zu den Gründungsmitgliedern. Zertifiziert wird vor allem konventionelle und gentechnisch veränderte Baumwolle. Nach dem EU-Vorschlag soll nur noch mit offiziellen Siegeln wie dem EU-Ecolabel geworben werden dürfen. Die Standards soll eine vom Unternehmen unabhängige Organisation festlegen, eine weitere deren Einhaltung kontrollieren.
Und kann das wirklich helfen?
Unternehmen dürften sich keine Siegel mehr ausdenken, mit denen sie sich ihre Nachhaltigkeit selbst bescheinigen. Den vorgeschlagenen Zertifizierungs-Prozess bezeichnet Kathrin Krause von dem Bundesverband der Verbraucherzentralen als “Königsklasse”. Es gäbe dadurch weniger, aber dafür verlässliche Siegel. Allerdings fehlen ihr verpflichtende Mindeststandards für soziale und ökologische Produktion, die jedes Siegel erfüllen muss, also zum Beispiel existenzsichernde Löhne für alle Angestellten. “Ohne sie wird die Regulierung ins Leere laufen.”
Fazit: Die Maßnahme könnte den Siegel-Dschungel lichten. Damit man sich auf die verbleibenden Siegel wirklich verlassen könnte, bräuchte es aber auch Mindeststandards.

Vorschlag 3: Keine leeren Zukunftsversprechen
Was schlägt die EU-Kommission genau vor?
Leere Versprechen, die eigentlich nur Absichtserklärungen sind, sollen verboten werden. Der Energielieferant Eon wirbt etwa damit, dass er bis 2040 klimaneutral sein will. Wie genau das gehen soll, sagt er nicht. Geht es nach der EU-Kommission, müssten Unternehmen künftig einen Plan aufstellen, wie sie ihre Versprechen einhalten wollen. Es soll überprüft werden, ob dieser wirklich dazu führen kann, die Ziele zu erreichen.
Und kann das wirklich helfen?
Nach dem EU-Vorschlag dürften Firmen wie Eon wohl nicht mehr mit leeren Zukunftsversprechen werben. Auch hier gibt es allerdings keine Vorgaben, von wem und nach welchen Kriterien das überprüft werden soll. Thomas Fischer von der Deutschen Umwelthilfe findet: Es solle gar nicht mit Zukunftsversprechen geworben werden. “Man kann natürlich Pläne machen, aber ob die Ziele am Ende wirklich erreicht werden und was passiert, wenn man sie nicht erreicht, ist völlig unklar.“
Fazit: Wenn man nur mit Versprechen werben darf, die man auch einhalten kann, ist das gut. Besser wäre es, nur mit dem werben zu dürfen, was man schon erreicht hat.

Vorschlag 4: Ganz oder gar nicht
Was schlägt die EU-Kommission genau vor?
Es soll verboten werden, ein Produkt als nachhaltig zu bewerben, wenn nur ein Teil davon nachhaltig ist.
Und kann das wirklich helfen?
Eine solche Regelung würde etwa im Fall des Milch-Unternehmens Arla helfen: Es dürfte wohl nicht mehr mit CO2-Einsparung werben, wenn sich die Aussage nur auf die Verpackung bezieht.
Fazit: Der Vorschlag könnte eine beliebte Greenwashing-Strategie effektiv aushebeln.
Wie lautet das Expertenfazit?
Klar ist: Durch den Vorschlag der EU-Kommission wird Greenwashing nicht einfach verschwinden. Wird er umgesetzt, müsste aber nicht in jedem Gerichtsverfahren mühsam geklärt werden, was erlaubt ist und was nicht. Thomas Fischer von der Deutschen Umwelthilfe sagt:
»Der Vorschlag der EU-Kommission ist ein guter Anfang – aber er geht nicht weit genug.«
Ohne einheitliche Mindeststandards für Umweltsiegel und wirklich kritische Zertifizierungsunternehmen könnten diese neuen Maßnahmen Unternehmen kaum davon abhalten, mit “grünen“ Produkten zu werben, die gar nicht so grün sind.
Der Vorschlag der Kommission muss in den nächsten Monaten erst mal von den EU-Mitgliedsstaaten und dem Europäischen Parlament diskutiert werden. Das kann Monate oder Jahre dauern. Deswegen sagt Thomas Fischer:
»Deutschland sollte nicht auf die EU warten, sondern bereits heute alles Notwendige tun, um Verbraucher:innen und Umwelt zu schützen.«
Ein Sprecher des Bundesumweltministeriums antwortet auf Flip-Anfrage, dass Greenwashing schon jetzt “auf Grundlage des geltenden Rechts” bekämpft werde. Also jenes Gesetz, nach dem auch das Milch-Unternehmen Arla verklagt wurde. Man beteilige sich derzeit an den Verhandlungen auf EU-Ebene. Wegen der “vollharmonisierenden Wirkung der EU-Richtlinie” plane man “keine nationalen Initiativen.” Heißt: Deutschland wird der EU nicht zuvorkommen.
Bis es stärkere Gesetze gegen Greenwashing gibt, wird es also noch dauern.
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