Während andere Unternehmen sich aus Konfliktregionen zurückziehen, geht Conflictfood bewusst dorthin, wo es knallt – und importiert zum Beispiel Safran aus Afghanistan, um den Menschen vor Ort zu helfen.
Fünf Monate ist es her, dass die USA und ihre Verbündeten ihre Truppen aus Afghanistan abzogen und die Taliban die Macht übernahmen. Fünf Monate, seit die Bilder von überfüllten Flugzeugen aus Kabul um die Welt gingen. Die Nachrichten sind seitdem weniger geworden, die Krise bleibt. Internationale Sanktionen und die Politik der Taliban-Regierung brachten die ohnehin schwache Wirtschaft fast zum Erliegen. Über zwei Drittel der Afghan:innen haben keinen Job und laut UN könnten bis Jahresende 97 Prozent in Armut leben.
Global betrachtet ist diese Krise, so grausam es klingt, eine von vielen. Die meisten Kriege toben in Afrika, Asien und im Nahen Osten. Aus den Krisenregionen ziehen sich viele Unternehmen zurück. Aus wirtschaftlicher Sicht ist das verständlich. In Afghanistan ist es derzeit für westliche Händler nicht sicher. Lastwagen werden teilweise über Wochen an der Weiterfahrt gehindert. Für die Menschen vor Ort aber bedeutet es, dass sie ihren Job verlieren und in Armut leben, wenn sie keine Hilfe bekommen.
29 bewaffnete Konflikte listet die Hamburger Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AFUK) für das Jahr 2020.
Was ist der Ansatz von Conflictfood?
Das Berliner Unternehmen verkauft, wie der Name erahnen lässt, Essen aus Konfliktregionen. So will es die lokale Wirtschaft stärken und die Menschen langfristig unterstützen. Während andere Firmen sich aus den Konfliktregionen zurückziehen, geht Conflictfood dahin, wo es knallt. Und nimmt in Kauf, dass sich Lieferungen auch mal um ein paar Monate verzögern, etwa weil die Taliban die Macht übernehmen.
Begonnen hat alles 2015, in Kabul. Salem El-Mogaddedi und Gernot Würtenberger arbeiteten an einem Foto-Projekt in der afghanischen Hauptstadt, als sie von einem Frauenkollektiv nahe der Stadt Herat hörten. Die Frauen hatten jahrelang Schlafmohn angebaut. Opium, das aus Schlafmohn gewonnen wird, ist eine ziemlich heftige Droge. Und ein ziemlich großes Problem in Afghanistan. Seit den 90ern konnten viele Bauernfamilien ihre Existenz nur sichern, indem sie Schlafmohn anbauten. Heute kommen über 85 Prozent des Opiums aus Afghanistan. Am Drogenhandel verdienen nicht nur Landwirt:innen, sondern auch Warlords, die Mafia und die Taliban.
Das Frauenkollektiv aber hatte es geschafft, aus den kriminellen Strukturen auszubrechen. Statt Schlafmohn bauten die Frauen nun Safran an. Der Anbau des Edel-Gewürzes hat ähnliche Anforderungen wie Schlafmohn – und bringt ähnlich viel Geld ein. El-Mogaddedi und Würtenberger besuchten das Kollektiv und arbeiteten mit den Frauen auf den Feldern. Da wurde ihnen klar, dass sie etwas verändern wollten in ihrem eigenen Leben:
»Als Architekt habe ich große Häuser für reiche Männer gebaut. Ich hatte keinen Bock mehr auf diese Konsumscheiße.« Gernot Würtenberger, Conflictfood
Mit zwei Kilo Safran im Handgepäck flogen sie wieder zurück nach Berlin. Sie wollten das Kollektiv unterstützen, aber auch die Geschichte der Frauen erzählen. Also gründeten sie Conflictfood. Mit zwei Mitarbeiterinnen und einem Team von Freiberufler:innen verkaufen sie neben dem Safran noch Produkte aus zwei weiteren Konflikt-Regionen: Aus dem palästinensischen Westjordanland, wo die Menschen seit vielen Jahrzehnten unter israelischer Besatzung leben, verkauft Conflictfood Freekeh. Das sind Weizenkörner, die unreif geerntet und dann geröstet werden. Aus Myanmar gibt es Kaffee und Tee. In dem südostasiatischen Staat kämpfen Minderheiten seit Jahrzehnten gegen die Militärregierung. Die Rohingya, die muslimische Minderheit im Land, wird brutal verfolgt.
Und funktioniert das auch?
Flip-Autor Benedikt Dietsch hat mit den Conflictfood-Gründern Salem El-Mogaddedi und Gernot Würtenberger per Zoom darüber gesprochen, wie man mit seinem Konsum die Menschen in Krisenregionen unterstützen kann.
Um sicherzustellen, dass Conflictfood auch wirklich den Produzent:innen in den Krisengebieten hilft, hat das Unternehmen eine ganze Reihe von Maßnahmen getroffen:
Ein fairer Preis: Das Unternehmen bezahlt den Produzent:innen einen Preis, der teilweise deutlich über dem Marktpreis liegt. Für den Safran zahlt Conflictfood etwa 1700 Euro pro Kilogramm an das Frauenkollektiv, auf dem Weltmarkt bekommt man afghanischen Safran auch für die Hälfte. Das soll sicherstellen, dass die Produzent:innen wirklich vom Handel mit Conflictfood profitieren.
Keine einseitige Abhängigkeit: Conflictfood hat mit den Produzent:innen nicht vertraglich geregelt, wie viel sie liefern müssen. Mit manchen Kooperativen habe man nicht einmal Verträge, sagt Gründer El-Mogaddedi. Die Produzent:innen entscheiden bei jeder Ernte selbst, wie viel sie abgeben wollen. Das soll sicherstellen, dass die Produzent:innen unabhängig bleiben.
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