Was ist das Problem?
Die meisten erben nichts oder nur wenig, einige viel und wenige sehr viel. Von Chancengleichheit kann in Deutschland also keine Rede sein. Ein bisschen ist das wie bei einem Boxkampf: Wer als Leichtgewicht startet, hat gegen ein Schwergewicht fast keine Chance, auch wenn er oder sie sich besonders anstrengt. Deswegen wird beim Leistungssport auf gleiche Startbedingungen geachtet. Sonst ist der Wettbewerb unfair.
Beim Vermögensaufbau sind wir von gleichen Bedingungen weit entfernt. Reichtum fließt von einer Generation an die nächste – davon aber profitiert vor allem, wer eh schon Geld hat. Damit verschärfen Erbschaften die ohnehin schon hohe Ungleichheit in Deutschland.
50 Prozent der Erbschafts- und Schenkungssummen gehen an die reichsten zehn Prozent der Begünstigten
90 Prozent der Menschen müssen sich die übrigen fünfzig Prozent laut Daten des DIW teilen, viele davon erben überhaupt gar nichts
Was ist der Ansatz des Grunderbes?
Zum 18. Geburtstag gibt es 20.000 Euro vom Staat geschenkt – einfach so. Das Geld können die jungen Erwachsenen für ganz unterschiedliche Dinge verwenden, solange sie es nicht bloß auf den Kopf hauen. Für eine Ausbildung oder zum Studieren, um ein Unternehmen zu gründen oder für die Altersvorsorge, etwa zur Finanzierung einer Wohnung. Ansonsten ist das Grunderbe bedingungslos. Sprich: Einkommen und Vermögen spielen keine Rolle. Jede:r bekommt es und niemand muss es zurückzahlen. Die 20.000 Euro Grunderbe sollen allen gute Startchancen ermöglichen und die Vermögenskluft ein Stück weit schließen.

Was vielleicht erstmal nach der Utopie von Teenager:innen klingt, ist der konkrete Vorschlag des Ökonomen Stefan Bach. Er arbeitet am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und berät Parteien und Industrie, wenn es um Vermögen und Ungleichheit geht. Für den Thinktank “Forum New Economy” hat Bach den Vorschlag von vorne bis hinten durchgerechnet. Derzeit wären es rund 750.000 Menschen im Jahr, die das Geld bekommen würden.
»Ob ich etwas erbe oder nicht, ist pures Glück und hat nichts mit der eigenen Leistung zu tun. Deshalb sollte der Staat hier ansetzen und durch Umverteilung für mehr Gerechtigkeit sorgen.« Stefan Bach, DIW
Ist die Idee machbar, finanzierbar und gerecht?
Darüber hat Flip-Autor Lorenz Jeric mit DIW-Forscher Stefan Bach gesprochen.

1. Was würde das Grunderbe kosten?
20.000 Euro für 750.000 Menschen im Jahr: Klar, da kommt eine ordentliche Rechnung zusammen. Konkret geht es um 15 Milliarden Euro jährlich, das sind 0,4 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung und mehr als doppelt so viel, wie Steuerzahler:innen für den Flughafen BER bezahlt haben. “Das ist schon ein Schluck aus der Pulle, aber ein eher mittelgroßer”, sagt Bach. Anders als das Bedingungslose Grundeinkommen, was sich viele wünschten, sei so ein moderates Grunderbe durchaus finanzierbar.
2. Wer soll das bezahlen?
Geht es nach Bach: Die Reichen.
»Man könnte das Grunderbe finanzieren, indem man große Erbschaften und Vermögen stärker besteuert.« Stefan Bach, DIW
Dazu muss man wissen, dass große Erbschaften in Deutschland quasi steuerfrei bleiben, gerade wenn Firmen vererbt werden (siehe Flip #28). Würde der Staat solche Erbschaften künftig stärker besteuern, könnte er doppelt so viel Erbschaftssteuer einnehmen, wie im Moment, rechnet das DIW. Bach schlägt außerdem eine Vermögenssteuer für Superreiche vor, die mehr als 20 Millionen Euro besitzen. Zusammengenommen käme man so auf mehr als die 15 Milliarden Euro, die es für das Grunderbe pro Jahr bräuchte.
3. Wie viel würde das bringen?
Ein Grunderbe würde das Vermögen in Deutschland umverteilen. Wie stark? Das misst der so genannte Gini-Koeffizient. Wenn jede:r in Deutschland das gleiche Vermögen hätte, läge er bei 0. Hätte eine:r alles, dann läge er bei 1. Mit einem Gini-Wert von 0,79 ist Deutschland momentan deutlich ungleicher als die meisten anderen EU-Länder. Das Grunderbe könnte den Gini-Koeffizienten um fünf bis sieben Prozent senken, rechnet das DIW. Die Vermögensungleichheit würde sich also dem europäischen Durchschnitt annähren.

Natürlich gibt es auch andere Möglichkeiten, für mehr Gleichheit zu sorgen. Investitionen in Bildung oder Integration zum Beispiel. Allerdings sind solche Maßnahmen oft politisch umstritten und kompliziert umzusetzen. Hier sieht Bach einen Vorteil des Grunderbes.
»Das Grunderbe ist relativ einfach umzusetzen. Es müssen keine gewachsenen Strukturen aufgebrochen werden. Jeder bekommt 20.000 Euro auf ein zweckgebundenes Konto. Das war's.« Stefan Bach, DIW
4. Ist ein Grunderbe gerecht?
Diese Frage ist natürlich nur schwer zu beantworten. Wer entscheidet schon was gerecht ist?
Interessant ist aber, dass die Idee sowohl an linke als auch an liberale Positionen anknüpft. Den Linken geht es eher um Umverteilung, den Liberalen eher um Chancengleichheit und die Idee, dass die Menschen selbst besser wissen als der Staat, womit ihnen geholfen ist.
Ein Grunderbe schlägt aktuell zwar keine Partei vor, auch nicht die Grünen oder die Linke. Umverteilung ist aber grundsätzlich in ihrem Sinne. Und gleiche Startbedingungen wünschen sich auch Liberale. So fordert etwa die Bundestagsabgeordnete und ehemalige JuLi-Chefin Ria Schröder: “Der Staat muss die Voraussetzung dafür schaffen, dass alle von der gleichen Linie aus starten”.
Eine Kritik am Grunderbe ist, dass es jede:r bekommen soll, also auch die Reichen. Für Stefan Bach ist das aber Kern des Grundererbes, ansonsten wäre es ja nicht bedingungslos. Und die Reichen müssten es schließlich auch bezahlen. “Da muss man auch gönnen können”, sagt er.
Und was sagt die Expertin?
Claudia Vogel ist Professorin für Soziologie an der Hochschule Neubrandenburg. Sie erforscht seit Jahren die Zusammenhänge zwischen Erbschaften und sozialer Ungleichheit. Besonders toll findet sie am Grunderbe, dass es so früh im Leben ansetzt:
»Die Chancen für junge Menschen würden dadurch tatsächlich etwas gleicher verteilt.« Claudia Vogel, Hochschule Neubrandenburg
Vom wissenschaftlichen Unterbau des Vorschlags ist Vogel überzeugt. Die Studie sei gut gemacht und der Ansatz sinnvoll. Ganz grundsätzlich, erklärt sie, bestimmten nur zwei Faktoren, wie reich man werde: “Was verdiene ich im Laufe meines Lebens? Und was kriege ich vererbt?” Durch den Arbeitsmarkt gebe es extreme Unterschiede in Einkommen und Vermögen. Das Grunderbe könnte da gegensteuern. Sie wünscht sich sogar, dass es noch höher ausfällt und etwa bei 40.000 Euro liegt. Einen Kritikpunkt hat Vogel aber:
»Bis der Effekt des Grunderbes voll zum Tragen kommt, dauert es mindestens eine Generation.« Claudia Vogel, Hochschule Neubrandenburg
Daher solle man nicht nur auf das Grunderbe setzen, sondern schon heute stärker umverteilen und Ärmere gezielt fördern.
Was denken junge Leute?
Benedikt von Flip hat ein paar Leute auf der Straße gefragt, was sie vom Grunderbe halten. Klar, niemand hatte etwas gegen 20.000 Euro geschenkt. Vermögen stärker zu besteuern finden aber nicht alle fair:
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