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Für einen Sneaker aus Müll braucht es Müll!

Die Bilder von der Müllkippe in Kenia, auf der auch unsere alten Schuhe landen, haben uns nicht losgelassen. Deshalb haben wir weitergemacht. Hardcore konstruktiv.

Von Lorenz Jeric & Christian Salewski

Erst haben wir Sneaker gejagt...

Vergangenes Jahr wollten wir wissen: Wo landen unsere alten Sneaker wirklich? Zusammen mit dem NDR und der ZEIT haben wir alte Schuhe von Prominenten mit GPS-Trackern verwanzt und auf verschiedenen Wegen entsorgt. Die verwanzten Schuhe führten uns bis auf illegale Mülldeponien in Kenia. Menschen kriechen dort auf allen vieren durch Elektroschrott, Essensreste und Textilabfälle und schlafen sogar im Müll. Ein großer Teil der Textilien, die weltweit weggeworfen oder gespendet werden, landet in Afrika. Vor Ort aber gibt es keine vernünftigen Entsorgungsstrukturen. Sneaker verschmutzen am Ende ihres Lebens also die Umwelt in Ländern wie Kenia. Doch die großen Hersteller unternehmen nichts dagegen. 

Seit es Flip gibt, haben wir uns auf die Fahnen geschrieben: Wir wollen nicht nur zeigen, was schlecht läuft, sondern auch dazu beitragen, dass es besser werden kann. Wenn sich die Hersteller nicht um das Problem kümmern, warum packen wir es nicht einfach selbst an? 

...jetzt machen wir einen Sneaker!

Und dann hatten wir eine Idee, die, zugegeben, etwas verrückt ist: Wir bauen selbst einen Sneaker! Einen, der nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung ist, zumindest ein kleiner. Ein Schuh, der dazu beitragen soll, den Textilmüll in Kenia aufzuräumen. Dafür wollen wir nicht mehr nutzbare Sneaker in Kenia sammeln, zu einem Granulat schreddern und in neuen Sohlen verarbeiten. So sollen alte Sneaker am Ende ihres Lebenszyklus nicht in der Umwelt oder auf illegalen Mülldeponien landen, sondern zum Ausgangsmaterial eines neuen Recycling-Sneakers werden. Mit ihm wollen wir auch ein Zeichen setzen: Wir holen Müll zurück – und verlagern gleichzeitig einen (zunächst noch kleinen) Teil der Wertschöpfung des Sneakers nach Afrika. 

Klar ist: Wenn wir das machen wollen, dann schaffen wir das nicht alleine. Also haben wir uns mit dem Münchener Start-up Monaco Ducks zusammengetan, das bereits seit 2017 an möglichst nachhaltigen und kreislauffähigen Sneakern tüftelt. Die Fakultät Textil & Design der Hochschule Reutlingen begleitet das Projekt wissenschaftlich. Auch in Kenia haben wir einen Partner gefunden: das Recycling-Start-up Africa Collect Textiles (ACT).

Unser Sneaker-Experiment ist, wenn man so will, die konstruktive Fortsetzung der investigativen Recherche. Deshalb werden wir transparent über die Entwicklung des Prototypen berichten. Die Idee: Nicht nur einen Schuh bauen, sondern möglichst viele auf die Reise dorthin mitnehmen. Denn am meisten lernt man, wenn man selbst versucht, etwas besser zu machen.

Die Flip-Mitgründer Dominik und Christian in Nairobi. Foto: Lorenz Jeric

Wie räumen wir am besten auf?

Die Suche nach einer Lösung beginnt für uns da, wo die Sneakerjagd ihr trauriges Ende fand: in Nairobi, wo wir gesehen haben, was unser Sneaker-Müll in Afrika anrichtet. Wieder suchen wir Sneaker, dieses Mal aber aus einem anderen Grund. Für unseren Recycling-Sneaker brauchen wir als erstes alte Schuhe, die wir recyceln können. Von der Müllkippe, zu der unsere Recherche uns vergangenes Jahr führte, können wir sie nicht einfach nehmen. Die Sneaker sind dort nur schwer einzusammeln und kaum noch zu reinigen. Die alten Schuhe für unseren Sneaker finden wir stattdessen unweit der Müllkippe in einem unscheinbaren Wohnhaus. Dort tüftelt Alex Musembi an einer Strategie gegen den Textilmüll, von dem die Stadt überschwemmt wird. “Wir sind nicht die Müllhalde der Welt”, sagt er, und: “Wenn keiner eine Lösung anbietet, müssen wir selbst eine suchen.” 

Musembi und sein Start-up Africa Collect Textiles (ACT) stellten Sammelcontainer auf. Sie seien die ersten, die das in Nairobi machen, erzählt er. Aus Kleidung, die sonst auf dem Müll landen würde, macht Musembi nun etwas Neues: Teppiche und Taschen aus alten Jeans, Kuscheltiere und Kissenbezüge aus T-Shirts und Pullis. Nur für die Schuhe hat er keine Verwendung. Säckeweise stapeln sie sich in der Garage. Schnell ist klar: Aus diesen Schuhen werden wir die ersten Sohlen für unsere Sneaker fertigen können. 

Wir wissen aber auch, dass das nur eine Lösung für den Moment ist. Was, wenn wir irgendwann richtig viele alte Sneaker recyceln können? Musembi kann schließlich nicht steuern, wie oft die Menschen kaputte Schuhe in seine Container werfen. Außerdem wollen wir so spät wie möglich in den Lebenszyklus der Schuhe eingreifen. So lange sie noch irgendwie getragen werden können, wollen wir sie nicht zerstören. Im besten Fall sammeln wir sie also kurz bevor sie als Müll die Umwelt gelangen. Wo könnten wir die alten Schuhe sammeln, wenn das Projekt irgendwann größer ist? 

Alex Musembi kämpft gegen den Textilmüll. Foto: Lorenz Jeric

Ein Sonntag auf dem Gikomba-Markt

Will man wissen, wann alte Schuhe nicht mehr Second-Hand sind, sondern Müll, lohnt es sich, einen Tag auf dem Gikomba-Markt zu verbringen, dem größten Altkleidermarkt Ostafrikas. Nairobis Stadtverwaltung schätzt, dass hier 65.000 Menschen arbeiten. Hier landen die Container mit tonnenweise “Mitumba”, so nennen die Kenianer:innen die Altkleider aus dem Ausland. Das gute Zeug geht schnell weg, das Schlechte bleibt liegen. Als wir den Markt besuchen, ist Sonntag, Ramschtag. Auf den lehmigen Wegen zwischen den Holzverschlägen stapeln sich die übrigen Schuhe, die meisten  durchgelatscht oder kaputt. Händler:innen schreien die Preise hinaus, die immer weiter sinken, je länger der Tag dauert. Von 50 kenianischen Schilling pro Paar, also etwa 40 Cent, geht es runter bis 10 Schilling, etwa 8 Cent. Was am Ende des Tages übrig bleibt, bekommen oft Teenager. 

Einen von ihnen treffen wir in in der Nähe des Marktes an einer Feuerstelle. Er trägt Jogginghose und Mütze und erzählt, dass er die übrigen Schuhe vom Markt sortiert: Ist Metall dran, etwa an den Schnürsenkel-Ösen, dann wirft er sie ins Feuer. Er bückt sich, wühlt in der Asche und angelt ein Stück Metall heraus: “So etwas hier, das verkaufe ich dann”, sagt er. In der traurigen Rest-Wertschöpfungskette alter Schuhe ist hier aber immer noch nicht Schluss. Auch die Schuhe, die bei ihm übrig bleiben, gibt er weiter. An Bauern etwa, die den Schuhmüll verfeuern, um dann Schweinefutter in den giftigen Dämpfen zu erhitzen. 

Am Ende dieses Tages steht eine seltsame Erkenntnis: Die alten Schuhe richten zwar auch hier Schaden an – immer wenn die Teenager sie verbrennen, atmen sie den Giftdampf verbrannten Plastiks. Manchmal ziehen nachts, wenn die meisten Schuhe verfeuert werden, tiefschwarze Rauchschwaden über die Stadt. Andererseits kann immer irgendwer noch etwas mit dem Müll anfangen. Und wir wollen ihn ja auch eigentlich niemandem wegnehmen. Es sind schwierige Abwägungen. Wir beschließen, erstmal weiter zu suchen.

Die Ex-Kriminellen räumen auf

Neben Dandora, der größte Müllkippe Nairobis, liegt unser nächstes Ziel, der Slum Korogocho. Viele Menschen, die hier wohnen, verdienen ihren Lebensunterhalt damit, im Müll nach etwas von Wert zu wühlen. Als wir über den Nairobi River in eine Gegend voller Wellblechhütten fahren, erzählt unser Fahrer, dass der Slum noch immer zu den gefährlichsten Viertel Nairobis gehört. Dass es zumindest ein bisschen besser geworden ist, liegt auch an der Umweltinitiative Komb Green. Für die Menschen im Slum ist sie eine Alternative zu Raubüberfällen und Diebstählen, weshalb viele Ex-Kriminelle für die Organisation arbeiten. Einer von ihnen ist Robert. Früher hat er sein Geld mit Überfällen verdient, bei einem wurde er angeschossen. Heute sagt der 26-Jährige: “Wir sind nicht diejenigen, die das Chaos verursacht haben, aber wie es aussieht, müssen wir Teil der Lösung sein.” Mit anderen Leuten aus dem Slum legt er einen Park und Gemüsegärten an und will den Nairobi River vom Dreck befreien. 

So vermüllt sieht der Nairobi River aus.
Foto: Lorenz Jeric

Der Fluss, der einmal quer durch Nairobi fließt, ist streckenweise so zugemüllt, dass man ihn nur noch erahnen kann. Zwischen Plastikflaschen und Einkaufstüten verrotten auch Sneaker im fast schwarzen Wasser. “In letzter Zeit finden wir hier immer mehr Kleidung und Schuhe”, sagt Robert. Er führt uns zu dem Flussabschnitt, den Komb Green gerade aufräumt. Die Aktivist:innen haben etwa einen Kilometer vom Müll freigeschaufelt und einen Park angelegt. Ein Weg führt vorbei an Blumenbeeten und Papayas, eine grüne Insel inmitten von Müllbergen. Irgendwann soll es überall so aussehen. “Wir haben das schon genau geplant”, sagt Robert. Einer der Männer zückt sein Handy und zeigt uns, wie sie den gesamten Flussabschnitt im Computerspiel Minecraft nachgebaut haben. Der ganze Müll ist weg. 

Die Minecraft-Vision würden wir gerne unterstützen. Robert und seine Kollegen können sich grundsätzlich auch vorstellen, für uns Schuhe zu sammeln und damit Geld zu verdienen. Für unseren Prototypen ist das auf die Schnelle nicht umzusetzen. Und es ginge natürlich auch mit Verantwortung einher: Sollten wir die Organisation dafür bezahlen, Schuhe zu sammeln, machen wir sie auch von uns abhängig. So lange unser Projekt also nur ein Experiment ist und wir den Menschen kein langfristiges Einkommen garantieren können, wollen wir diesen Schritt noch nicht gehen. 

Was jetzt mit den alten Schuhen?

Wir machen also für die Entwicklung des Prototypen erstmal mit den von Africa Collect Textiles (ACT) gesammelten alten Schuhen weiter. Damit aus ihnen etwas Neues werden kann, müssen die Sohlen aber zunächst geschreddert werden. So entsteht ein Granulat, das dann weiterverarbeitet werden kann. Wer aber schreddert für uns alte Schuhsohlen?

So sehen geschredderte Schuhsohlen aus. 

Es ist gar nicht so einfach, jemanden zu überzeugen, Schuhmüll aus Afrika für einen zu zerhexeln. Schließlich aber finden wir einen Sohlenhersteller in Portugal, For Ever, der unser Projekt spannend findet und mitmacht. Für unseren Prototypen entsteht das Granulat dort.

Eigentlich wollen wir ja aber möglichst viel Wertschöpfung nach Afrika bringen mit unserem Sneaker. Können die Schuhe also nicht auch gleich dort zerhexelt werden? Alex von Africa Collect Textiles (ACT)  schaut sich für uns um – und findet auch einen Schredder. Allerdings spricht er selber von einem “rough place”, und die Fotos, die er uns zeigt, illustrieren das eindrücklich. Vorsichtig ausgedrückt entspricht der Arbeitsschutz nicht unbedingt europäischen Vorstellungen. Wir wollen niemandem vorschreiben, wir er zu arbeiten hat. Aber natürlich wollen wir auch nicht, dass sich jemand wegen uns verletzt.

Also suchen wir weiter. In einem Hinterhof liegt die Werkstatt von Gjenge Makers, einem Start-up, das Plastikmüll zu Bodenplatten und Ziegelsteinen verarbeitet. Gründerin Nzambi Matee, 30, gilt in Nairobi als Vorzeige-Unternehmerin, stellt uns alle Arbeiter:innen mit Namen und Position vor. Anders als beim “rough place” achtet man hier auch auf Arbeitskleidung und Gehörschutz. Bis zu 1500 Steine können sie an einem Tag herstellen. Dafür wird der Plastikmüll in kleine Stücke geschreddert. Den Schredder dafür haben Matee und ihr Team aus gebrauchtem Metall und einem alten 5-PS-Motor selbst gebaut. Das chinesische Original hätten sie nicht bezahlen können. Nzambi grinst, wenn sie darüber spricht. Um die Maschine zu bauen, habe sie “einen Master auf der Youtube-Uni gemacht.”

Kann Gjenge Makers nicht auch unsere Sohlen schreddern? Nzambi Matee sagt, dafür müsste die Maschine umgebaut werden. Aber sie ist optimistisch: „Euer Zeug kriegen wir schon geschreddert.“ Jetzt bastelt sie also an ihren Maschinen rum und fährt erste Testläufe.

Zwischenfazit

Wir haben alte Schuhe gefunden, die wir für den Anfang nutzen können. Außerdem hat uns die Reise an zwei Orte geführt, an denen wir in Zukunft vielleicht alte Schuhe sammeln können. Dafür muss das Projekt aber erst wachsen. Jetzt haben wir den Müll – und wahrscheinlich auch einen Ort, an dem wir sie in Kenia schreddern können.

Wie geht es jetzt weiter?  In einer Woche, am 30.9., erzählen wir in Folge 2, wie das Granulat zum Bestandteil eines möglichst nachhaltigen, kreislauffähigen Sneaker wird.

Am 4. Oktober startet dann ein Crowdfunding. Wenn Ihr mitmacht, kann aus dem Prototypen eine echte Unternehmung werden und Ihr bekommt einen der ersten Sneaker.

Disclaimer

Für das Crowdfunding des Marabu-Sneakers und dessen weitere Realisierung hat FLIP gemeinsam mit dem Münchner Sneakerhersteller MONACO DUCKS die Firma GRND gegründet, an der beide Partner zu 50 Prozent beteiligt sind.

Was ist ein Flip?

Flips nennen wir Ideen, die zu einer besseren Wirtschaft beitragen können. Wir stellen sie vor, recherchieren und sprechen mit unabhängigen Experten. Ihr entscheidet: Ist die Idee wirklich ein Flip oder doch ein Flop?

Was ist eine Learning Journey?

Unsere besonders aufwendigen Produktionen bezeichnen wir als Learning Journey. Diese Projekte sollen ein drängendes Problem ganz grundsätzlich aufrollen, um am Ende besser zu verstehen, wie Lösungen aussehen könnten. Dazu recherchieren wir investigativ, arbeiten mit reichweitenstarken Medienpartnern zusammen und veröffentlichen seriell und crossmedial auf vielen Kanälen. Das Ziel: Gemeinsam die Welt verstehen, um sie zu verbessern.