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Trockentoiletten

Finizio macht Kaka kreislauffähig

Was Dich hier erwartet:

Was ist das Problem?

Wir alle pinkeln und kacken. Jeden Tag scheiden wir etwa 1,4 Liter Urin und 0,14 Liter Kot aus. Wenn wir damit fertig sind, drücken wir die Klospülung: schnell weg damit. Das allerdings kostet viel Wasser, rund ein Drittel unseres gesamten Verbrauchs. Es wieder aufzubereiten ist mühsam, in unseren Fäkalien befinden sich auch Krankheitserreger und Reste von Medikamenten. Weil sie nicht immer komplett herausgefiltert werden können, landen sie auch in Flüssen, Bächen und Seen. Insgesamt ist das Ganze eine ziemliche Sauerei, die auch noch drei Prozent des globalen Energieverbrauchs ausmacht. Dabei stecken in unseren Fäkalien eigentlich noch ziemlich wertvolle Dinge, Stickstoff und Phosphor zum Beispiel, die wichtige Nährstoffe in der Landwirtschaft sein können. Dort allerdings werden unsere Fäkalien bisher kaum genutzt. Stattdessen wird aufwändig künstlicher Dünger hergestellt und Gülle aus der Massentierhaltung benutzt.

Was ist der Ansatz von Finizio?

„Wie wir mit unseren Exkrementen und den Nährstoffen darin umgehen, ist ein klassisches Beispiel für lineare Wirtschaft”, sagt Florian Augustin. Er hat deshalb 2019 das Start-Up Finizio gegründet. Das will quasi aus Scheiße Gold machen: In einer Anlage im brandenburgischen Eberswalde stellt es aus dem Inhalt von Trockentoiletten Dünger für die Landwirtschaft und den Gartenbau her. Das heißt, menschliche Ausscheidungen werden Teil einer Kreislaufwirtschaft. Die Idee kam Augustin im ersten Semester seines Forstwirtschaftsstudiums: „Es hat mich umgehauen, was für einen großen Einfluss das Abwassersystem auf die gesamte ökologische Krise hat – und was für eine Hebelwirkung ein Umdenken zu einem Kreislaufsystem haben könnte.”

Seine Begeisterung für Nährstoffkreisläufe hat Augustin während seines Forstwirtschaftsstudiums in Eberswalde entdeckt. Bild: Finizio – Future Sanitation

Aus dem, was pro Mensch jährlich ausgeschieden wird, könne man etwa 100 Liter Urin-Dünger und etwa 150 Liter Kompost-Humus herstellen, schreibt Finizio auf seiner Website. Besonders der Humus-Dünger, der aus dem Kot hergestellt wird, sei wertvoll für die Landwirtschaft, so Augustin. Um an “die Ressourcen” zu kommen, hat Finizio verschiedene Arten von Trockentoiletten entworfen. Etwa 320 Festival-Toiletten besitzt das Unternehmen und verleiht sie regelmäßig an Musik- und Sportevents. 

Insgesamt ein Viertel der mittlerweile 25 Mitarbeitenden bei Finizio sind für den nächsten Schritt zuständig: Die Abholung. Das heißt, sie fahren regelmäßig zu den Toiletten und tauschen die vollen Container, in denen Kot und Urin aufgefangen werden, mit leeren Behältern. Wichtig ist, dass man Urin und Kot getrennt sammelt, da sie unterschiedlich verarbeitet werden. In jeder Toilette steht auch ein Mülleimer für das Toilettenpapier. Etwa die Hälfte der Leute halten sich daran. Das stellt kein großes Problem dar, sagt Augustin: „Wenn aber alles im Container landen würde, hätten wir Schwierigkeiten es zu kompostieren.” 

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Mit einem LKW­ können bis zu 200 Festivalkabinen angeliefert werden. Bild: Finizio – Future Sanitation

Mit diesem Service finanziere sich das Unternehmen bisher hauptsächlich, so Augustin. Ein wachsender Markt für Finizio seien außerdem öffentliche Trockentoiletten, die beispielsweise aktuell in Berlin getestet werden. Langfristig aber will Finizio viel mehr: eine komplette Alternative zum derzeitigen Abwassersystem. Deshalb entwickelt es auch schon eine Trockentoilette für zu Hause.

Funktioniert die Umwandlung?

Verwertet werden die Fäkalien in der Pilotanlage von Finizio in Eberswalde –  die derzeit einzige genehmigte, gewerbliche Anlage in diesem Bereich in Deutschland, sagt der Gründer. Auf der Website beschreibt das Unternehmen das Verfahren, bei dem auch Krankheitserreger und Medikamentenrückstände entfernt werden sollen. 

Der Kot wird im ersten Schritt in einem etwa 30 Kubikmeter großen Edelstahlbehälter “hygienisiert”. Das heißt, bei bis zu 75°C werden Krankheitserreger wie Salmonellen, E.coli und Hepatitis abgetötet. Das passiert über Belüftungsrohre am Boden, die durch Sauerstoffzufuhr Mikroorganismen aktivieren und für eine Selbsterhitzung sorgen. 

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Im ersten Schritt kommt der Kot in den Hygienisierungscontainer. Bild: Finizio – Future Sanitation

Nach etwa sieben Tagen wird der Inhalt dann ausgeleert und in Reihen ausgebreitet. Dazu gemischt werden Grünschnitt, Tonmineralien und Pflanzenkohle. Dann fängt die “Humifizierung” an. Die Mitarbeitenden steuern Sauerstoffgehalt, Feuchtigkeit, Temperatur und Zusammensetzung der Masse so, dass sie mithilfe von Bakterien innerhalb von sechs bis acht Wochen zu Humus wird. „Für 100 Kubikmeter Kompost braucht man etwa 30 Kubikmeter Wasser”, erklärt Augustin. Ein Bruchteil also von dem, was das Abwassersystem verbrauche. Im letzten Schritt wird der Humusdünger nochmal gesiebt. 

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Innerhalb von sechs bis acht Wochen wird der Kot zu Kompost-Humus. Bild: Finizio – Future Sanitation

Im Oktober eröffnete Finizo auch eine Anlage, in der Urin nach dem in der Schweiz entwickelten Vuna-Verfahren aufbereitet wird. Dabei wird der Urin so behandelt, dass er nicht mehr riecht. Medikamente und Hormone werden mit Aktivkohle herausgefiltert. Am Ende wird das ganze noch “eingedampft”, so dass aus etwa 100 Litern Urin 5 Liter Urinkonzentrat werden. Auf Nachfrage heißt es, dass der Aktivkohlefilter mit den herausgefilterten Arzneimitteln anschließend in die Müllverbrennung gehe. Es handle sich dabei um “relativ kleine Mengen”, die genauen Zahlen müsse man noch erheben.

Urin und Kot in Dünger umzuwandeln funktioniert also schon mal – bisher geschieht das allerdings in relativ kleinem Umfang. 

Auf Nachfrage teilt das Unternehmen mit, dass Finizio aktuell 150 Tonnen Kompost-Humus jährlich produziere, die für Feldversuche und wissenschaftliche Studien genutzt werden. Was den Umgang mit dem Urin angeht, kommuniziert das Unternehmen aber schwammig. Auf der Website wird lediglich das Verfahren erklärt. Nach mehrfacher Rückfrage, wie viel Urin bisher aufbereitet und wie er eingesetzt wurde, heißt es schließlich: Es habe “bisher keine Urinaufbereitung” gegeben. Aufgrund der Kapazitäten sei der unbehandelte Urin zurück in die Kanalisation geleitet worden, schreibt die Pressesprecherin. Das aber solle sich mit der nun in Betrieb gegangenen Urinanlage bald ändern, so die Pressesprecherin. 

Wie sinnvoll ist das Ganze?

Kot und Urin enthalten Stickstoff und Phosphor – zwei der wichtigsten Nährstoffe in der Landwirtschaft. Als Recyclingdünger aufbereitet, könnten menschliche Fäkalien bis zu 25 Prozent des konventionellen mineralischen Düngers ersetzen. Aber anders als zum Beispiel bei Klärschlamm und Gülle darf man aus Kot und Urin nach dem deutschen Düngemittelrecht eigentlich keinen Dünger herstellen. Nur mit einer speziellen Genehmigung für wissenschaftliche Zwecke darf der Dünger hergestellt und auf Feldern verteilt werden. Das heißt: Es ist Finizio aktuell nicht erlaubt, den Dünger zu verkaufen oder zu verschenken.

Vor einer möglichen Legalisierung müsse erst sicher sein, dass der Dünger wirklich ungefährlich ist, teilt das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) auf Anfrage mit. Insbesondere was Medikamentenrückstände und Hygieneaspekte, beispielsweise Darmparasiten, angehe, seien “noch sehr viele Fragen offen”. „Restkonzentrationen von Wirkstoffen und deren mögliche Abbauprodukte können durch Kompostierung bei 70 Grad nicht ausgeschlossen werden”, sagt auch die Apothekerin Anja Thijsen von Pharmacists for Future. Insgesamt hält die Expertin den Ansatz von Finizio aber für sehr sinnvoll, weil die Nährstoffe im Kreislauf bleiben und weniger Dünger neu produziert werden müsse. 

Feldstudien auf Flächen im brandenburgischen Schorfheide, für die Finizio eine spezielle Genehmigung hat, sollen beweisen, dass die Dünger ungefährlich und sinnvoll für die Böden sind. Auf der Website gibt Finizio an, dass der aktuelle Feldversuch über das Forschungsprojekt “zirkulierbar” vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert wird. Die Ergebnisse zu den Studien würden aber erst 2024 fertig ausgewertet und bekannt gegeben, sagt Ariane Krause vom Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau (IGZ), die das Projekt koordiniert. Bei einer vorherigen Studie hätten die Dünger gut abgeschnitten: „Humus- und Urindünger haben eine vergleichbare Wirkung mit konventionellem Biodünger und das Risiko zur Aufnahme von Arzneimitteln ist sehr gering”, sagt Krause. Auch andere Versuche haben eine gute Düngewirkung, keine Schädlichkeit und geringe Treibhausgas-Emissionen gezeigt. Urs Hildebrandt, Berater für Boden und Kompost, sagt, dass Finizio die Kompostierung des Kots “optimal umsetze”. Wichtige Faktoren wie Feuchtigkeits- und Sauerstoffgehalt würden eingehalten, die dafür sorgen, dass am Ende ein hochwertiger Humus entsteht. Der helfe, gesunde Lebenskreisläufe im Boden wiederherzustellen.

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Auf Feldern in Brandenburg wird der Dünger getestet. Bild: Finizio GmbH / Flavin Braß

Bisher darf Finizio den Dünger zwar nicht kommerziell einsetzen – aber Augustin hofft, dass sich das in wenigen Jahren ändert und er legal für die Landwirtschaft genutzt werden kann: „Wir sehen es definitiv kommen, müssen aber noch eine Menge politischer Gespräche führen.”

Wie groß ist das Potenzial?

„Es ist eine große Chance für die Menschen, sich der Kreislaufwirtschaft bewusster zu werden, indem wir unsere eigenen Körperprodukte recyceln”, sagt Finizio-Gründer Augustin. Langfristig wollen er und sein Team eine ressourcenschonende Alternative zum normalen Abwassersystem bieten – und auch private Haushalte erobern. Dafür haben sie vor kurzem sogar eine Trockentoilette für Zuhause entwickelt. Wie bei einer Standard-Toilette wird Urin und Kot durch Rohre “weggespült”, aber mit Unterdruck statt Wasser. Der Urin wird im vorderen Bereich der Schüssel aufgefangen, der Kot in einem Papierkegel im hinteren Bereich und beides wird getrennt in den Keller geleitet.

Ist es wirklich vorstellbar, dass das unser klassisches Toilettensystem ersetzt? Und wäre eine Mehrheit der Deutschen bereit, so eine Toilette zu benutzen?

Augustin ist sich über die Herausforderung, Trockentoiletten langfristig “mainstream” zu machen, bewusst. Vermutlich begleite ihn diese Aufgabe noch die nächsten 50 Jahre, sagt er. Es sei aber nicht unmöglich: „Vor 200 Jahren war es auch noch normal, auf die Straße zu machen und heute haben wir uns als Gesellschaft weit davon entfernt.”

Disclaimer

Für das Crowdfunding des Marabu-Sneakers und dessen weitere Realisierung hat FLIP gemeinsam mit dem Münchner Sneakerhersteller MONACO DUCKS die Firma GRND gegründet, an der beide Partner zu 50 Prozent beteiligt sind.

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