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Reerdigung

Nachhaltig sterben?

Was Dich hier erwartet:

Was ist das Problem?

Stirbt ein Mensch, gibt es hierzulande zwei Optionen, ihn zu bestatten: im Feuer und in der Erde. Drei Viertel der Deutschen entscheiden sich für das Feuer, sie werden verbrannt und in einer Urne beigesetzt. Brennt ein Sarg und in ihm ein Mensch, entweichen Schwermetalle und Feinstaub, im Ofen wird Erdgas verfeuert. Wie umweltschädlich das ist, ist nicht ganz klar. Für den reinen Vorgang der Verbrennung in einem effizienten Ofen geht etwa Dominikus Bücker, Leiter des Instituts für nachhaltige Energieversorgung an der TU Rosenheim, von etwa zehn bis 15 Kilogramm CO2 aus. Das entspräche ungefähr einer einstündigen Autofahrt. Das Unternehmen Cremtec, das unter anderem Krematorien berät, kommt für eine Feuerbestattung auf 106 Kilogramm CO2 und für eine Erdbestattung auf 86 Kilogramm CO2. Das aber mache immer noch weniger als 0,01 Prozent des gesamten CO2-Ausstoßes eines Menschen aus. Klimatechnisch sind Bestattungen also ein eher kleiner Faktor. Hinzu kommen können aber auch noch andere Probleme. Wird ein Mensch der Erde beigesetzt, können Rückstände des Sargs und des Körpers, also zum Beispiel Medikamente oder künstliche Hüftgelenke, die Erde und das Grundwasser verunreinigen. Zu diesem Ergebnis kommt zumindest eine Studie der portugiesischen Universität Aveiro.

Was ist der Ansatz?

Das Berliner Start-Up Meine Erde hat deshalb die “Reerdigung” ausgetüftelt. Die Gesellschafter des Unternehmens haben außerdem eine Stiftung gegründet, die sich für die Verbreitung der neuen Bestattungsform einsetzen soll.  Auf der Website der Stiftung Reerdigung heißt es, dies sei die “nachhaltigste Bestattungsmethode”. Und: „Bei der Reerdigung wird kein CO₂ durch Verbrennung von Erdgas, Körper und Sarg in die Atmosphäre entlassen. So entsteht auch kein Sondermüll wie bei den Filteranlagen in Krematorien.” Stattdessen, heißt es etwas blumig, unterstütze die Umwandlung der menschlichen Überreste in lebendigen Boden „das Aufblühen des zukünftigen Lebens”.

Im Kokon liegen die Verstorbenen insgesamt für 40 Tage. Bild: Meine Erde

Wie das funktionieren soll? Auf einem Bett aus Stroh und Grünschnitt liegt der Tote 40 Tage in einem sargähnlichen Edelstahlgehäuse, dem Kokon. Mikroorganismen sollen den Körper dann zu Erde verwandeln. Diese wiederum wird auf einem Friedhof beigesetzt. Das ist nicht so viel anders als bei einer Erdbestattung. Nur soll es, weil bei dem Prozess Wärme entsteht, sehr viel schneller gehen. 40 Tage soll die Reerdigung dauern.

»Wir sind eine neue Alternative im deutschen Bestattungswesen«

Pablo Metz trägt eine Brille mit schwarzem Rahmen und hat seine Haare zu einem Dutt gebunden. Bevor der 42-Jährige in das Bestattungs-Business wechselte, hat er das Tech-Unternehmen MBR Targeting mitgegründet, das mittlerweile vom Werbevermarkter Ströer übernommen wurde. Nun ist es ihm und seinem Partner Max Hüsch gelungen, für die Circulum Vitae GmbH, dem Unternehmen hinter der Marke “Meine Erde”, mehrere Investoren zu gewinnen. Dazu gehören etwa der Fußballprofi Mario Götze und der Investor und Seriengründer Christian Vollmann, der unter anderem mit den Dating-Portalen iLove und eDarling bekannt geworden ist. Es geht also nicht nur ums Klima, sondern auch ums Geschäft. In den USA wird das Kompostieren von Leichen schon länger praktiziert. Meine Erde ist nun der erste Anbieter in Europa. Eine Reerdigung bietet das Unternehmen derzeit für 2900 Euro an – die Kosten der Beisetzung der Erde sind da aber noch nicht eingerechnet. Insgesamt dürften die Kosten in einer ähnlichen Größenordnung liegen wie die einer Feuerbestattung.

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Die Gründer Pablo Metz und Max Hüsch, Bild: Meine Erde

Bisher hat das Unternehmen allerdings gerade mal 11 Menschen “reerdigt”. Das liegt auch an den Gesetzen in Deutschland. Das Verfahren ist nur in einem Pilotprojekt in Schleswig-Holstein zugelassen. Trotzdem gibt es schon eine Menge Kritik. Zuletzt etwa veröffentlichte der Spiegel einen Artikel, in dem Gerichtsmediziner und Juristen vor den Methoden und angeblich dubiosen Geschäftspraktiken warnen. Das Unternehmen wiederum empfindet diese Berichterstattung als einseitig – und schreibt in einer Mail an Flip, dass die eigenen Antworten “wenig Berücksichtigung” gefunden hätten. 

Was also ist von den “Reerdigungen” zu halten? Flip hat nicht nur mit Pablo Metz, sondern auch mit Bestattern, Forschern und einem Rechtsmediziner gesprochen – und so versucht, etwas Ordnung in die ziemlich unübersichtliche Debatte zu bringen.

Wie genau funktioniert das Ganze?

Das Problem ist: So ganz genau weiß man es nicht. Klar ist, dass der Leichnam im Kokon von Mikroorganismen wie Bakterien aufgefressen werden soll, so wie bei der Erdbestattung auch. Bei der Reerdigung wird es jedoch warm, bis zu 70 Grad, und zwar durch die Kompostierung. Einige kennen das vielleicht aus dem eigenen Garten. Dort dampft es auf dem Kompost auch manchmal, die Mikroorganismen erzeugen Wärme.

Meine Erde führt während dieses Prozesses Luft zu und wiegt den geschlossenen Kokon hin und her, damit sich kein Wasser absetzt. Am Ende der 40 Tage bleiben nach Unternehmensangaben nur Knochen übrig. Die Knochen würden mit einer Mühle “verfeinert” und dem Humus beigegeben. So entstehe “feinrieselige Erde”.

Klaus Püschel, einer der bekanntesten Rechtsmediziner in Deutschland, leitete fast drei Jahrzehnte das Institut für Rechtsmedizin am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf. Schon im vergangenen Jahr veröffentlichte er mit seinen Kollegen Benjamin Ondruschka und Marcel Verhoff eine Analyse der Reerdigungen. Ihr Fazit damals: „Es ist Fakt und rechtsmedizinisches Basiswissen, dass eine vollständige Auflösung eines Leichnams innerhalb der propagierten 40 Tage (kommuniziert als sog. ‘Transformation’) allein durch passives Zulassen von Fäulnisprozessen nicht gelingen kann und mindestens relevante Anteile des Knochengerüsts noch intakt wären.” 

Die Rechtsmediziner wollten wissen, was dem Kompost beigemischt wird, wie häufig der Kokon bewegt wird und was nach knapp sechs Wochen mit Goldzähnen oder Hüftgelenken passiert. Rütteln Mitarbeiter von Meine Erde den Kompost und sieben ihn aus? Oder tasten sie mit den Händen nach Überbleibseln? Für die Wissenschaftler waren das Fragen, die öffentlich beantwortet werden mussten. Sie schlossen: „Bis dahin kann aus wissenschaftlicher Sicht eine Reerdigung (…) nicht befürwortet werden.”

Auch ein Jahr später hat Püschel keine Antwort erhalten. Im Gespräch mit Flip sagt er: „Ich fühle mich von der Firma hinters Licht geführt und verstehe nicht, wieso sie keine Daten teilt.”

»Das hat mit Wissenschaft wenig zu tun.«

Er stört sich auch an der Wortwahl des Unternehmens: „Meine Erde kommuniziert nicht deutlich genug, gerade was Knochen wie den Schädel angeht. Sie reden von Zermahlen oder Verfeinern, was sie meinen ist: Zerbrechen und Zerschreddern.”

Pablo Metz bleibt im Gespräch mit Flip dabei, dass sich die Knochen nach der Kompostierung mit einer Mühle zermahlen lassen. In der Vergangenheit kommunizierte das Unternehmen aber nicht einmal das auf der Homepage. Dort hieß es im März 2022 noch: „Grundsätzlich verwandelt sich alles – einschließlich Knochen und Zähne – auf natürliche Weise in Erde.” Inzwischen ist die Stelle korrigiert.

Neben dem Streit ums Zermahlen oder Zerschreddern bleibt die Frage: Warum antwortet Meine Erde nicht auf die Fragen von Püschel und legt sein Verfahren offen? Metz sagt dazu: „Wir wollen nichts verheimlichen. Für uns als junges Unternehmen ist aber die Frage wichtig: Mit wem teilen wir was?”

»Den prüfenden Behörden liegen sämtliche Informationen vor.«

Im Klartext heißt das: Man betrachtet das Verfahren als Geschäftsgeheimnis.

Man muss dem Unternehmen allerdings zugute halten, dass es sich durchaus einer wissenschaftlichen Untersuchung stellt, nur eben nicht von Püschel. Im Spiegel-Artikel heißt es dazu: „Angeblich lässt das Unternehmen seine Arbeit von Experten des rechtsmedizinischen Instituts der Universität Leipzig wissenschaftlich begleiten.” Das Wort “angeblich” klingt, als wäre das gar nicht so oder ließe sich nicht überprüfen. Ruft man aber bei Marcus Schwarz an, der das Projekt als wissenschaftlicher Mitarbeiter leitet, bestätigt er die Untersuchung. Schwarz ist studierter Forstwissenschaftler, er arbeitet als Insektenforscher zu Kriminalfällen, ist also mit toten Lebewesen vertraut. Im Leipziger Forschungsteam untersuchen neun Wissenschaftler:innen die Reerdigung, darunter drei Rechtsmediziner. Schwarz sagt, dass die Reerdigung grundsätzlich funktioniere und bis auf die Knochen alles in 40 Tagen zersetzt werde. Auch blieben in der Erde kaum Medikamentenrückstände zurück. Noch in diesem Jahr wollen Schwarz und seine Kollegen Ergebnisse zur Reerdigung veröffentlichen.

Vielleicht kann man es so sagen: Bei einem völlig neuen Bestattungsverfahren, das seine Rezeptur nicht öffentlich machen will, weil ihm der Schutz vor Konkurrenz wichtiger ist als Transparenz, kann man Skepsis durchaus verstehen. In diese Kerbe schlägt auch Stephan Neuser, Generalsekretär des Bundesverbands deutscher Bestatter (BDB). Er sagt: „Wir waren der Reerdigung gegenüber anfangs sehr aufgeschlossen. Die Bestattungskultur ist schon immer im Wandel. Aber man kann nicht einfach eine Bestattungsart einführen, ohne zu wissen, wie das konkret funktioniert.”

Auf der anderen Seite ist es noch zu früh, ein Urteil zu fällen. Dazu fehlen die Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen. Gerade bei einem so sensiblen Thema wie dem Tod und dem Umgang mit Leichen braucht es eine Debatte auf Grundlage von Fakten. Das ist bisher nicht möglich. Die Studie der Universität Leipzig ist aber immerhin ein Anfang.

Ist das wirklich nachhaltiger?

Auf der Reerdigungs-Website heißt es, es handele sich um die “nachhaltigste Bestattungsmethode”. Doch was genau soll das eigentlich heißen?

Im Kern geht es um zwei Dinge. Erstens um die Erde. Sie sei sauber und ungefährlich. Im September 2022 legte Meine Erde eine Untersuchung der Laborgruppe Agrolab vor, die die kompostierte Erde nach einer Reerdigung auf Schadstoffe prüfte. Ergebnis: Stoffe wie Quecksilber oder Blei blieben unter den gesetzlich erlaubten Grenzwerten. Arzneimittel wie Antibiotika oder Chemotherapeutika würden hinreichend durch Mikroorganismen abgebaut. Liegt hier der entscheidende Vorteil gegenüber der Erdbestattung? Das bleibt unklar. Zum einen bezieht sich die Untersuchung auf eine einzige Reerdigung. Zum anderen zieht sie keinen Vergleich zu einer normalen Erdbestattung. Auch Marcus Schwarz von der Universität Leipzig will sich in diesem Punkt nicht festlegen. „Ich würde da die Sargbestattung nicht grundsätzlich als negativer einschätzen, weil es von vielen Faktoren abhängig ist, nicht zuletzt auch vom Medikament selbst.”

Der zweite Punkt ist die CO2-Bilanz. Auf der Reerdigungs-Website heißt es: Während bei einer Einäscherung CO2 als Abgase freigesetzt würden, kehrten bei der Reerdigung “die in jedem Körper enthaltene Nährstoffe in die Erde zurück und werden im frischen Humus angereichert.” Doch was ist die CO2-Bilanz einer Reerdigung? Auch hier wird ja Energie verbraucht, beispielsweise um Luft in die Wanne zu leiten oder den Kokon herzustellen. Derzeit müssen auch Leichen aus ganz Deutschland nach Schleswig-Holstein gebracht werden. All das verursacht Emissionen. Wie viele? Eine Emissionsbilanz, teilt das Unternehmen auf Nachfrage mit, gebe es bislang nicht. Man habe das „für die Zukunft aber natürlich vor.” Damit aber ist die Behauptung, es handele sich um die „nachhaltigste Bestattungsmethode”, bisher völlig unbelegt.

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