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Was ist das Problem?

Wenn George Clooney in seinem perfekt sitzenden Anzug mit einer attraktiven Blondine eine Wette eingeht, wer auf der Party wohl zu welcher Kaffeekapsel greift, ist den meisten Menschen sofort klar: Hier kann es nur um Nespresso-Werbung gehen. Auf Youtube hat der Spot mehr als zwei Millionen Aufrufe. Schon seit 2004 ist George Clooney Nespressos Markenbotschafter. Für Nestlé, den Schweizer Konzern hinter den Kapseln, ist das eine Erfolgsgeschichte. Noch immer dominiert Nespresso den Markt. Wer an Kaffeekapseln denkt, denkt seit rund zwei Jahrzehnten an George Clooney, Nespresso und, naja, womöglich auch an den Kapselmüll. 

Kaffeekapseln produzieren nämlich eine riesige Menge Müll. Nach Berechnungen der Deutschen Umwelthilfe wurden 2018 allein in Deutschland 3,5 Milliarden Kapseln verbraucht. Das ergibt rund 8.800 Tonnen Aluminium- und Kunststoffmüll. Es handele sich um „abfallintensive und klimaschädliche Kleinstverpackungen“, so das Fazit der Deutschen Umwelthilfe. 

Diese Kritik haben auch die Kapselhersteller verstanden. Sie halten dagegen, die Kapseln seien recyclingfähig. Selbst im oben genannten Werbespot fällt der Satz: „Vergessen Sie nicht zu recyceln.” Tatsächlich gibt es zahlreiche Kapseln aus recycelten Aluminium auf dem Markt. In der Schweiz, wo Kaffeekapseln sehr beliebt sind, bietet Nespresso in Zusammenarbeit mit der Post sogar einen Abholservice für die Kapseln an. In Deutschland gibt es so einen Service allerdings nicht. 

Die Kapseln von Nespresso dürfen aufgrund einer Vereinbarung mit dem Grünen Punkt zwar im gelben Sack entsorgt werden. Insgesamt aber ist die Herstellung von Aluminium energieintensiv. Und die Vorstellung, dass aus alten Kapseln einfach neue werden, nicht realistisch. Aluminium-Schrott würde eher in die Herstellung von Fenstern oder Autofelgen gehen, so die Deutsche Umwelthilfe. Auch das Freiburger Öko-Institut hat die Ressourcenverschwendung beim Aluminium durch Nespresso als negativ beurteilt

Was ist der Ansatz von kompostierbaren Kapseln? 

Inzwischen hat sich Nespresso etwas Neues einfallen lassen: kompostierbare Kaffeekapseln. „Entdecken Sie den gleichen unvergesslichen Nespresso Geschmack in einer neuen, revolutionären heimkompostierbaren Kapsel”, heißt es auf der Website. Die Kapseln würden zu 82 Prozent aus Papier bestehen und sollen im heimischen Kompost entsorgt werden können. So könne man nicht nur seinen Abfall reduzieren, sondern auch noch seinen “Garten düngen” – ganz ohne Abstriche beim Geschmack. Die “innovative Struktur” der Kapseln auf Papierbasis würde die Aromen jedes Kaffees schützen und verstärken, verspricht Nespresso.

Die Kapseln sollen zu 82 Prozent aus Papier bestehen. Screenshot: Nespresso.com

Zunächst wurden die Papierkapseln 2023 in der Schweiz und in Frankreich eingeführt. Inzwischen sind sie auch in weiteren Ländern wie Italien erhältlich. In Deutschland sollen sie 2025 auf den Markt kommen, teilt Nespresso auf Anfrage mit.

Bereits in Deutschland erhältlich ist ein Konkurrenzprodukt, das ebenfalls  kompostierbar sein soll: Kaffeebälle der Marke Café Royal. Dahinter steckt ein anderes großes Schweizer Unternehmen namens Delica. Das System, das sich CoffeeB nennt, verspricht ein “Kapselsystem ganz ohne Kapseln”. Stattdessen eben Bälle. Diese seien “rund, nackt, revolutionär”, heißt es auf der Homepage

Das Kapselsystem von CoffeeB soll ganze ohne Kapseln auskommen. Screenshot: CoffeeB.com

Schön wäre es ja, wenn das Abfallproblem der Kapselmaschinen gelöst wäre. Denn sie haben auch Vorteile. Eine Untersuchung der Universität Quebec aus 2023 kommt etwa zum Ergebnis, dass sie weniger Kaffee verbrauchen als zum Beispiel Filterkaffee-Maschinen – und deshalb auch weniger Emissionen verursachen. Die Ergebnisse aus Kanada sind zwar umstritten, unter anderem weil sie die verbrauchten Ressourcen für die Herstellung der Kapseln außen vor lassen. Klar ist aber auch: Wenn das Müllproblem gelöst wäre, müsste man über die vielfach geschmähten Kapselmaschinen neu diskutieren.

Doch ist es das tatsächlich? Flip-Autorin Karolin Arnold hat bei Nespresso und CoffeeB nachgehakt, mit Expert:innen gesprochen und Lebenszyklusanalysen gewälzt.

Die Nespresso-Kapseln aus Papier

Wer in Deutschland schon jetzt die Nespresso-Papierkapseln ausprobieren will, muss sie zuerst selbst importieren. Es gibt sie bisher nur vor Ort in der Schweiz, Italien und Frankreich zu kaufen, für den Preis von 4,50 Euro bis 5,20 Euro für zehn Kapseln. Schafft man es dort welche zu ergattern, kann man die neuartigen Kapseln mit jeder Nespresso-Original-Maschine verwenden. In der Benutzung unterscheiden sie sich nicht von den kleinen Aluminium-Kapseln, die man kennt. Nur die Farbe ist schlichter und man spürt die Papierbasis der Kapsel. Um die Öffnung herum ist eine dickere Umrandung und über dem Kaffee ist eine dünne Schutzschicht befestigt, die sich nach der Benutzung abziehen lässt. 

Auf der Website von Nespresso steht zwar, dass die Kapseln zu 82 Prozent aus Papier bestehen – woraus der Rest hergestellt wird, ist aber nicht angegeben. Auf Nachfrage teilt Nespresso mit, dass die Kapseln zu 97 Prozent aus “erneuerbaren Materialien" bestehen, größtenteils Holzfasern. Bleiben also noch drei Prozent. Was da genau drin steckt, will Nespresso aber auch nach mehrfacher Rückfrage nicht verraten. Eine Sprecherin von Nespresso Schweiz schreibt lediglich, dass sich im Inneren eine “biologisch abbaubare Biopolymerschicht”, also Kunststoff, befinde, deren Zusammensetzung man “aus Gründen des geistigen Eigentums Dritter” nicht verraten könne. Die Sprecherin verweist auf ein TÜV-Austria Zertifikat, das bescheinige, dass man die Papierkapseln kompostieren könne. Trotz Nachfrage schickt Nespresso das entsprechende Dokument zum Zertifikat aber nicht mit.

Die Papierkapseln sollen 2025 auf den deutschen Markt kommen. Bild: Karolin Arnold.

Kann man die Kapseln also guten Gewissens im Garten kompostieren oder in den Biomüll werfen, wie Nespresso verspricht? 

Der Experte für Abfall- und Kreislaufwirtschaft von der Hochschule Bochum, Peter Hense, sieht das kritisch: „Auch wenn die Papierkapseln biobasiert und kompostierbar sein sollen, werden sie in konventionellen Kompostieranlagen nicht schnell genug zersetzt.” Problematisch sei auch der Kunststoffanteil, so Hense: „Durch diesen ist die Papierkapsel auch zuhause nicht mehr kompostierbar und sollte nicht im Biomüll, sondern im Restmüll entsorgt werden.”

Tatsächlich räumt Nespresso ein, dass es gar nicht überall erlaubt sei, die Papierkapseln im Biomüll zu entsorgen. Ob die Kapseln für den Bioabfall zugelassen sind, müsse man von Land zu Land betrachten. Flip hat deshalb bei der Stadtreinigung Hamburg und dem Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft nachgefragt. Die übereinstimmenden Antworten: Nein, die Papierkapseln gehören ganz klar nicht in den Biomüll. Das sei sogar in der deutschen Bioabfallverordnung geregelt, nach der als kompostierbar gekennzeichnete Verpackungen – wie die Papierkapseln von Nespresso – nicht im Biomüll entsorgt werden dürfen. Wenn die Papierkapseln ab kommendem Jahr in Deutschland verkauft werden, heißt das also: Ab in den Restmüll. Immerhin: Es sei immer noch besser, eine Papierkapsel statt einer Aluminiumkapsel im Restmüll zu verbrennen, so Abfall-Experte Hense. 

Die Kaffeebälle von CoffeeB

CoffeeB verspricht 100 Prozent Genuss ganz ohne Kapsel. Um in diesen Genuss zu kommen, muss man sich aber zuerst eine spezielle CoffeeB-Kaffeemaschine für 99 Euro kaufen. Die Maschine sowie die passende Packung mit je neun Kapseln für 3,79 Euro gibt es beispielsweise bei Edeka. Sobald die Maschine aufgebaut ist, können die kleinen Kaffeebälle oben durch eine Öffnung, in die Maschine rollen und werden bei der Zubereitung ein wenig flacher gedrückt. Das “Abfallprodukt” lässt sich mit den Fingern zerbröseln und kann nach Angaben von CoffeeB am Ende im eigenen Kompost, Garten oder Biomüll entsorgt werden.

Doch wie hat CoffeeB es geschafft, die Aluminiumkapsel aus dem System zu verbannen? Die Lösung lautet Alginat, ein Lebensmittelzusatzstoff, der aus Braunalgen gewonnen wird. “Head of CoffeeB” Frank Wilde erklärt im Gespräch mit Flip, dass der Kaffee in Kugeln gepresst werde, die dann in eine Alginat-Lösung mit Calcium getaucht werden. Außerdem werde dem Alginat noch Cellulose beigemischt, schreibt Wilde auf Nachfrage. Dadurch bilde sich eine Schutzschicht um die Kapseln, so dass man am Ende feste Kaffeebälle habe. Auf der Website taucht der Begriff “Alginat” allerdings nur selten auf, meist ist von einer “dünnen Schutzschicht natürlichen Ursprungs” die Rede. Man wolle damit vermeiden, dass Kund:innen an einen fischigen Geschmack denken, so Wilde.

Flip-Autorin Karolin hat die Kaffee-Bälle von CoffeeB zuhause getestet. Bild: Karolin Arnold

Auch zu den Kapseln von CoffeeB hat Flip den Experten für Abfall- und Kreislaufwirtschaft Peter Hense um eine Einschätzung gebeten. Er stuft die Alginat-Kugeln als unbedenklich ein. Sie seien tatsächlich kompostierbar, „sowohl zuhause als auch in den großen Kompostierungsanlagen”, so Hense. „Das ist im Gegensatz zu allen anderen Varianten wirklich ein toller Vorteil”. Bei der Stadtreinigung verweist man indes darauf, dass für eine definitive Aussage noch mehr Forschung nötig wäre. Grundsätzlich warnt Hense davor, sich eine neue CoffeeB-Maschine zu kaufen, wenn man diese gar nicht braucht oder eine funktionierende Kaffeemaschine daheim hat. „Nur wegen des neuen CoffeeB-Systems umzusteigen, wäre ein ökologischer Wahnsinn”.

Und was heißt das jetzt unterm Strich?

Erstmal lässt sich sagen: Am umweltfreundlichsten wäre es natürlich, gar keinen Kaffee zu trinken. Denn abgesehen von dem vielen Müll, der entsteht, wenn man Kapselmaschinen nutzt, verursacht insbesondere der Anbau von Kaffee eine Menge CO2. Eine Tasse Kaffee hat so insgesamt einen sehr hohen CO2-Fußabdruck von 50 bis 200 Gramm. Entscheidend ist daher vor allem die Menge des genutzten Kaffees, die Verpackung spielt für die Ökobilanz insgesamt eine nachgeordnete Rolle. Diesen Umstand machen sich Nespresso und CoffeeB in ihren Lebenszyklusanalysen zu eigen. Da Kaffeekapseln exakt vorportioniert sind, würde man mit ihnen pro Tasse Emissionen sparen, heißt es dort. 

Nespresso veröffentlichte 2023 eine Analyse, in der die eigenen Kapseln mit anderen Systemen verglichen wurden. Demnach haben die Aluminium- und Papierkapseln mit 79 g CO2-eq und 81 g CO2-eq pro Tasse Espresso einen ähnlichen CO2-Abdruck – schneiden aber insgesamt besser als ein Vollautomat mit 117 g CO2-eq ab. Am besten, auch das steht im Bericht, seien aber Mokkakannen für den Herd. Sie verursachen demnach nur 70 g CO2-eq – und keinen Kapselmüll. 

Insgesamt liest sich die Analyse so, als habe Nespresso sein Müllproblem in großen Teilen gelöst. Bei den Aluminiumkapseln werde eine Recycling-Rate von 64 Prozent erreicht, der Rest werde verbrannt, heißt es. Klingt zunächst beeindruckend, gilt aber nur für den Schweizer Markt, wo Nespresso ein eigenes Recycling-System für seinen Kapselmüll unterhält. In Deutschland und anderen Ländern landen die benutzten Kapseln weiter im Müll. Auch die Papierkapseln, die in der Schweiz laut Bericht im Biomüll entsorgt werden, müssen – siehe oben – in Deutschland künftig in den Restmüll. Die Lebenszyklusanalyse ist außerhalb der Schweiz also schlicht nicht aussagekräftig.

Auch CoffeeB schickt nach mehrfacher Nachfrage eine Lebenszyklusanalyse. Daraus zitieren oder sie veröffentlichen dürfen wir allerdings nicht. Zusammengefasst kann man aber sagen: Wie bei Nespresso zeigt auch diese Analyse einen geringeren Fußabdruck der CoffeeB-Kugeln im Vergleich zu Vollautomaten. Verglichen mit ähnlichen Kapselmaschinen, gebe es keine signifikanten Unterschiede in ihrer Umweltauswirkung, so „Head of CoffeeB“ Frank Wilde. Der Vorteil von CoffeeB-Kugeln im Vergleich zu Nespresso: Kein Kapselmüll, da sie tatsächlich im Biomüll oder Kompost entsorgt werden können.

Vergleicht man die drei Kapselsysteme – Aluminium, Papier und Kaffeebälle – sei deshalb das System von CoffeeB am sinnvollsten, so Abfallexperte Peter Hense: „Die Kugel ist ökologisch das Beste, gefolgt von dem Papiersystem, welches aber in den Restmüll gehört. Und dann kommt das Aluminiumsystem, das am umweltschädlichsten ist.” Wolle man sich also unbedingt eine neue Kapselmaschine kaufen, dann die von CoffeeB. Noch besser, das hat Flip-Autorin Karolin während der Recherche gelernt, ist aber immer noch die gute, alte Espressokanne, die sie schon auf dem Herd stehen hat.

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