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Diese Recherche ist in Zusammenarbeit mit der ZEIT entstanden.

Ein Trikot soll das Meer retten

Für manche Fußballfans ist es fast schon ein Heiligtum: Das Deutsche Nationaltrikot. Jetzt, da die WM in Katar begonnen hat, hängt es in Sportgeschäften überall auf der Welt. Es ist aber mehr als ein schickes Stück Stoff für den Fußballplatz: Die “Performance-Version” des WM-Trikots, das auch die Spieler auf dem Platz tragen, soll besonders nachhaltig sein.

Am Trikot der “Performance-Version” findet sich ein QR-Code. Ruft man den Code auf, sieht man Bilder, die den Betrachter in eine weit entfernte Welt geleiten. Meereswellen rauschen gegen einen Felsen, die Kamera rast über einen Strand, über Plastikmüll. Eine Nähmaschine zieht eine Naht. Dann taucht ein Slogan auf: “End Plastic Waste”. Beendet die Plastikverschmutzung.

Kaum einer der großen Sportartikelhersteller brüstet sich so sehr mit seinem Kampf gegen Plastikmüll wie Adidas. Egal ob auf seiner Website oder in seinen Läden, fast überall wirbt Adidas damit, was man alles tue, um die Umwelt zu schützen. Als erster Sportartikelhersteller will das Unternehmen bis zum Jahr 2024 nahezu vollständig auf recyceltes Polyester umsteigen. Das Prinzip, auf das es dabei setzt, klingt so einfach wie genial. Ein großer Teil der Adidas-Produkte besteht aus Polyester. Das lässt sich neu herstellen, dafür braucht man Rohöl. Polyester lässt sich aber auch herstellen, indem man altes Plastik recycelt.

Mit dem Nationaltrikot hebt der Konzern dieses Engagement auf die größtmögliche Bühne. Auch wenn es in Europa gerade viel Kritik gibt an dieser WM – für Adidas ist sie ein “brand moment”, wie sie das intern nennen. Der Moment, auf den es ankommt, um der Marke zum großen Auftritt zu verhelfen. Für das vierte Quartal hoffe man auf einen Umsatzanstieg “im zweistelligen Prozentbereich”, heißt es in einer Pressemitteilung des Unternehmens. “Treiber dieses Wachstums”, unter anderem: das Turnier in Katar.

Das Nationaltrikot, das die Spieler tragen, soll besonders nachhaltig sein. Foto: Lorenz Jeric

Schaut man sich den Halsausschnitt der “Performance-Version” genauer an, dann sieht man, dass neben dem QR-Code etwas steht: Dieses Trikot sei mit Ozeanplastik hergestellt. Die bekannteste Polyesterart heißt Polyethylenterephthalat, kurz PET. Warum nicht PET-Flaschen aufsammeln, damit sie nicht die Ozeane vermüllen, und sie recyceln, um daraus Sportmode zu produzieren?

Schon jetzt verkauft Adidas unzählige Produkte aus recyceltem Plastik. Trainingshosen, Laufschuhe, Kapuzenpullover, kaum etwas, das es nicht als recycelte Variante gäbe. Auch die “Fan-Version” des deutschen Nationaltrikots besteht vollständig aus recycelten Materialien. Aber nicht, wie die “Performance-Version”, aus Ozeanplastik – die Sache mit den Meeren erscheint als Krönung der Recycling-Strategie, als ein besonders einprägsames Symbol dafür, wie der zweitgrößte Sportartikelhersteller der Welt versucht, nachhaltig zu werden.

Einige Mitarbeiter von Adidas würden sagen: vortäuscht, nachhaltig zu werden.

Wir, ein Team von Flip und der ZEIT, haben versucht herauszufinden, wie aus altem Plastik ein Kleidungsstück wird, das Fans der deutschen Fußballnationalmannschaft kaufen, ein Trikot, in dem Thomas Müller, Leon Goretzka und die anderen in Katar auflaufen. Wir sprachen mit mehreren Adidas-Mitarbeitern. Und wir bekamen interne Dokumente zugespielt, von Informanten, die nicht länger mit ansehen wollten, was sich hinter der Erzählung von der Nachhaltigkeit in Wahrheit verbirgt.

Auf seiner Website wirbt Adidas mit dem Slogan "End Plastic Waste". Foto: Screenshot Website Adidas

Wo kommt das Plastik für das Trikot her?

Wenn es einen Ort gibt, der für den Anspruch des Weltkonzerns Adidas steht, Gutes zu tun, dann ist das Malé, die Hauptstadt der Malediven. Sieben Jahre ist es her, dass Adidas eine Kooperation mit der Umweltorganisation Parley for the Oceans schloss, was so viel heißt wie “Verhandlung für die Meere”. Gegründet wurde sie von dem deutschen Designer Cyrill Gutsch. Ihr Ziel: die Rettung der Weltmeere. Wie es erreicht werden soll, kann man in Malé beobachten.

Das Plastikzeitalter hat auch die Malediven nicht verschont. Davon geben all die Plastikflaschen, Plastiktüten und Plastikkanister Zeugnis, die an die Küsten gespült werden und zwischen Muscheln, Korallenstücken und Kokosnussschalen herumliegen. Cyrill Gutsch hat diesen Staat, der aus knapp 1200 Inseln besteht, zur “Future Island Nation” ausgerufen, zu einer Art Vorzeigeregion.

Ziemlich viele Projekte von Parley for the Oceans gibt es hier schon. Man kann auf den Malediven Ferienresorts besuchen, die ihren Plastikmüll in weißen Säcken entsorgen und diese dann an Parley übergeben. Man kann Schulkinder treffen, die in ihrer Freizeit Plastikflaschen sammeln, um den Parley-Wettbewerb zu gewinnen. Man lernt dabei, dass “Ozeanplastik” ein eher vager Begriff ist. Wer ihn zuerst hört, denkt an Plastik, das aus dem Meer gefischt worden ist. In Wahrheit sind damit auch PET-Flaschen gemeint, die an Land abgefangen werden, in der Nähe der Küste, bevor sie das Meer erreichen. Der Müll aus dem Wasser ist oft zu dreckig, um nur daraus in großen Mengen Textilien herzustellen.

Ökologisch gesehen ist der Unterschied nicht riesig: Auf vielen Inseln der Malediven gibt es keine richtige Müllentsorgung. Durchaus wahrscheinlich also, dass die Flaschen, die in den Ferienresorts und anderswo auf den Inseln gesammelt werden, am Ende ins Meer gelangt wären. All dieses Plastik recyceln Adidas und Parley for the Oceans gemeinsam, und daraus entsteht dann Polyester.

Das also ist die Geschichte, die Adidas erzählt, mit den Bildern, die jeder Käufer sieht, wenn er den QR-Code aufruft, und mit zahlreichen aufwendig inszenierten Videos, in denen Menschen an tropischen Stränden Flaschen aufsammeln. Es ist eine Geschichte, die wie ein Gruß aus einer besseren Welt wirkt. Und wenn es nach Adidas ginge, wäre sie an dieser Stelle wohl zu Ende. Dabei fängt sie hier erst an.

Strände wie diesen auf den Malediven will Adidas säubern. Foto: Greta Taubert

Es ist ein ganzer Stoß an Dokumenten aus dem Inneren von Adidas, die uns vorliegen – unter anderem E-Mail-Korrespondenzen, Präsentationen und Kostenaufstellungen. Besonders interessant sind jene Dokumente, aus denen hervorgeht, von wo genau das Ozeanplastik stammt. In einer Pressemitteilung verkündete der Konzern, mit dem Trikot setze man “Adidas’ anhaltendes Engagement fort, einen Beitrag gegen die Plastikverschmutzung zu leisten”. Das Garn, das Adidas für die Performance-Variante verwende, bestehe zur Hälfte aus “Parley Ocean Plastic”, also “recyceltem Plastikmüll, der auf abgelegenen Inseln, an Stränden und in Küstenregionen gesammelt wird, um unsere Meere nicht zu verschmutzen”.

Laut den Dokumenten, die uns vorliegen, stammt jedoch ein Großteil des Ozeanplastiks, das Adidas für seine Textilien verwendet, nicht von Sammelaktionen wie jenen auf den Malediven, die Parley for the Oceans organisiert und überwacht. Der Anteil, den die Umweltorganisation liefert, ist demnach deutlich kleiner als angegeben – er liegt bei etwa 20 Prozent. Die restlichen 80 Prozent stammen aus Ländern, von denen in den Werbevideos rund ums Nationaltrikot nie die Rede ist, aus einer zweiten Lieferkette, die Adidas selbst organisiert. In den Dokumenten werden sie als “Volume Countries” bezeichnet. Als Masse-Länder.

Auf unsere Anfrage hin bestätigt Adidas den Befund aus den Dokumenten. Zunächst einmal ganz allgemein, ohne Bezug auf das Nationaltrikot. Das Ozeanplastik für seine Textilien stamme aktuell neben den Malediven auch noch aus der Dominikanischen Republik, aus Thailand und von den Philippinen. “Die konkrete Zusammensetzung variiert produktionsbedingt.” Im Übrigen sei es unzutreffend, dass man die Öffentlichkeit nicht über die zweite Lieferkette informiere.

Zumindest der Geschäftspartner von Adidas weiß offenbar nicht Bescheid. Cyrill Gutsch, der Chef von Parley for the Oceans, zeigt sich auf Nachfrage überrascht. Thailand und die Philippinen? “Das sind nicht die Informationen, die ich bekommen habe.” Er sei ziemlich geschockt. In keinem der beiden Länder sammle seine Organisation Plastikmüll für die Textilherstellung, sagt uns Gutsch. Fragt man ihn nach dem Grund dafür, sagt er nur: “Der informelle Sektor ist dort ein großes Problem.”

Hat Adidas ein Problem mit Kinderarbeit?

Dicke graue Regenwolken liegen über der philippinischen Provinz Pampanga, gut 80 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Manila, als ein schmächtiger Junge seine Pause beendet und sich einen verbeulten Bauarbeiterhelm aufsetzt. Joaquin, so soll der Junge hier heißen, um ihn zu schützen, trägt ein T-Shirt und eine kurze Hose, er ist barfuß. Joaquin ist zwölf Jahre alt, und um seine Familie zu ernähren, sammelt er auf, was der Fluss anspült: Alte Farbkanister, leere Konservendosen, einen verdreckten Auspuff, abgerissene Kabel, eine Milchkanne. Und Plastikflaschen.

Seit Adidas vor einigen Jahren begonnen hat, PET aus der Provinz Pampanga zu beziehen, sind die Flaschen hier begehrter denn je. Joaquin weiß nicht, woran das liegt, er weiß nicht, was mit den Flaschen passiert, die er sammelt, und er hat erst recht keine Ahnung, was in ihnen steckt, das so wertvoll ist. “Flaschen bringen Geld, deshalb sammeln wir sie.”

In den Dokumenten von Adidas ist die Lieferkette, die der Konzern in seinen “Volume Countries”, Thailand und den Philippinen, organisiert hat, anhand von Kürzeln beschrieben, T8 bis T1. Der erste Schritt sind Menschen wie Joaquin, die auf eigene Faust Müll sammeln. Ohne dass dabei von ihnen Werbefilme gedreht werden.

Um seine Familie zu ernähren, sammelt Joaquin Müll auf den Philippinen. Foto: Sebastian Kempkens

Die Zahl der Müllsammler auf den Philippinen kann nur geschätzt werden, sie geht sicher in die Zehntausende. Einige wenige sind sogenannte formelle Müllsammler, die unter guten Bedingungen arbeiten können, bezuschusst von Behörden. Der Großteil aber verrichtet seine Arbeit unter erbärmlichen Umständen. Es ist dieses Phänomen, das Cyrill Gutsch meinte, ein Phänomen, das es in vielen ärmeren Ländern gibt: der informelle Sektor. Bei Parley for the Oceans, sagt Gutsch, achten sie genau darauf, dass der Müll unter besseren Bedingungen gesammelt wird. Und bei Adidas?

Auf den Philippinen sprechen wir mit einem Dutzend Menschen, die hauptberuflich Flaschen sammeln für sogenannte Junkshops, also Händler, die wiederum an Zulieferer von Adidas liefern. Keiner von ihnen sagt, er komme auf die 12.000 philippinischen Peso im Monat, umgerechnet etwa 200 Euro, die für eine fünfköpfige Familie als Armutsschwelle gelten. Von jenem Junkshop, an den Joaquin liefert, gehen die Flaschen an einen größeren Müllhändler. Ein freundlicher Mann mit Lesebrille, er nimmt sich kurz Zeit, als wir bei ihm vor der Tür stehen. Ja, er liefere seine Flaschen an ein Recycling-Center, das sie dann an Adidas verkaufe, bestätigt er. In seinem Laden hat er ein Transparent aufgehängt, gelbe Großbuchstaben auf schwarzem Grund: “NO CHILD LABOR”. Keine Kinderarbeit. Spricht man ihn darauf an, sagt er, er müsse vorsichtig sein, schließlich stehe er als Präsident der örtlichen Vereinigung der Müll-Recycler unter besonderer Beobachtung, zumal er ja indirekt mit Adidas zusammenarbeite. Er sei ein guter Arbeitgeber, darauf lege er Wert, er zahle seinen Mitarbeitern den Mindestlohn von 450 Peso pro Tag, dazu komme ein freies Mittagessen. “Aber ich werde Sie nicht anlügen”, sagt der Händler. “Natürlich gibt es hier in unserer Gegend Kinderarbeit.”

In seinen Richtlinien schreibt Adidas, dass bei Kinderarbeit “Null Toleranz” gelte. Zumal Unternehmen nach dem neuen Lieferkettengesetz, das ab Januar 2023 in Deutschland gilt, Verantwortung für ihre gesamte Lieferkette tragen – auch wenn es um sogenannte mittelbare Zulieferer geht, also keine direkten Handelspartner. Ein Verstoß gegen das Gesetz liegt vor, falls ein Unternehmen wissen oder ahnen konnte, dass es irgendwo in der Kette zu Kinderarbeit gekommen ist – und nichts dagegen unternommen hat.

Uns liegen E-Mails vor, in denen sich schon vor mehr als zwei Jahren eine Adidas-Managerin wegen Menschenrechtsverstößen bei den Zulieferern von Ozeanplastik Gedanken macht. An eine für Asien zuständige Mitarbeiterin schreibt sie, es habe doch von Beginn an Bedenken gegeben. “Was haben wir getan, um dem zu begegnen?”, fragt sie. Und dann: “Stell dir nur vor, was passiert wäre, wenn ein Journalist Kinderarbeit oder so bei der Herstellung des Parley-Schuhs gefunden hätte.” Sie bezieht sich auf einen Sneaker, den Adidas – so wie jetzt das Nationaltrikot – schon damals als Produkt verkaufte, das zum Teil Parley Ocean Plastic enthält.

Wusste Adidas Bescheid? Der Konzern weist das weit von sich. Man dulde keine Kinderarbeit und verpflichte seine Partner, die Geburtsurkunden der Beschäftigten in Kopie aufzubewahren. “Wir überprüfen die Einhaltung unserer Vorgaben vierteljährlich und konnten keine Anzeichen für die Beschäftigung Minderjähriger feststellen.”

In einem Junkshop hängt ein Transparent mit der Aufschrift "No Child Labor". Foto: Sebastian Kempkens

Die Textilindustrie hat in der Vergangenheit beim Thema Kinderarbeit immer wieder für Skandale gesorgt, meist ging es dabei um Nähereien in Ländern wie Bangladesch. Die Industrie hat das Problem besser in den Griff bekommen, durch Kontrollen, durch staatliche Aufsicht. Nun scheint es, als entwickle sich eine neue, weitgehend unkontrollierte Boombranche, in der Kinderarbeit stattfindet: das Geschäft mit dem Plastikmüll.

Was heißt all das nun für das deutsche Nationaltrikot? Am vergangenen Montag, nachdem wir den Konzern mit den Ergebnissen unserer Recherchen konfrontiert haben, teilt Adidas uns etwas Überraschendes mit. Das Trikot werde nicht mit Plastikabfall von den Philippinen hergestellt. Der Abfall, heißt es da, “stammt ausschließlich von Stränden und aus Küstenregionen in Thailand”. Wenn das stimmt, dann ist da noch ein ganz anderer Skandal.

Wir haben Cyrill Gutsch am Telefon erzählt, was Adidas uns über die Herkunft des Trikots mitgeteilt hat. Der Chef von Parley for the Oceans reagierte so: “Das ist für mich jetzt komplett neu.” Dann: “Das ist abenteuerlich.” Parley habe in Thailand erste Tests gemacht, sei dort aber nicht operativ tätig. Der Anteil von Ozeanplastik, das von Parley kommt – zum Beispiel aus seiner Vorzeigeregion, den Malediven –, läge demnach nicht bei nur 20 Prozent, wie unsere Recherchen nahegelegt hatten. Sondern sogar bei null Prozent. Und trotzdem schreibt Adidas in den Halsausschnitt des Trikots: “Made with Parley Ocean Plastic”.

Cyrill Gutsch: “Für uns ist es sauwichtig, dass wir genau wissen, wie das Garn zusammengesetzt ist. Weil unser Name da draufsteht, ganz einfach. Und wir haben nichts anderes außer unserem Namen. Das ist alles, was wir haben.” Letztendlich wisse man bei großen Unternehmen halt nie. “Wenn sich die Vorwürfe bewahrheiten, muss ich auf dem Rücktritt der verantwortlichen Führungskräfte bei Adidas bestehen, um die Partnerschaft weiterzuführen”, sagt Gutsch. “Ansonsten muss ich den Vertrag infrage stellen.”

Verschmutzt das Trikot die Meere?

In einem etwas heruntergekommenen Büroturm in Hamburg arbeitet eine Frau, die das Trikot für uns wissenschaftlich untersucht hat. Elke Fischer heißt sie, ihr Reich liegt im achten Stock, das Labor des Fachbereichs Erdsystemwissenschaften der Universität Hamburg. Elke Fischer leitet eine der führenden deutschen Forschungsgruppen zu mikroskopisch kleinen Kunststoffteilchen. Experten halten Mikroplastik für ein globales Müllproblem. Einer Studie zufolge werden in Deutschland jährlich etwa 446.000 Tonnen Kunststoff in die Umwelt freigesetzt. Ein Großteil davon, etwa 330.000 Tonnen, ist Mikroplastik.

Elke Fischer von der Universität Hamburg hat das Nationaltrikot auf Mikroplastik-Abrieb untersucht. Foto: Christian Salewski

Elke Fischer hat sich bereit erklärt, für uns zu untersuchen, was geschieht, wenn man das Nationaltrikot in die Wäsche steckt. Die Forscher machen eine Feinwäsche bei 30 Grad, wie auf dem Etikett angegeben. Das Abwasser leiten sie durch ein Analysesieb. Was es auffängt, kommt zum Trocknen in eine sogenannte Abdampfschale. Damit das Experiment aussagekräftig wird, wäscht das Forscherteam drei Trikots, jedes fünf Mal hintereinander. Nach 15 Waschgängen stehen 15 Schalen auf dem Labortisch.

Sie sei, wird Elke Fischer später sagen, skeptisch gewesen, ob überhaupt eine sichtbare Menge nachweisbar sein würde.Jetzt nimmt sie eine der Schalen in die Hand. Man merkt, dass die Wissenschaftlerin ehrlich überrascht ist. Der Boden der Schale ist fast vollständig mit gräulichem Staub bedeckt. Lauter Fasern. “Wow, das ist wirklich beeindruckend schlecht”, sagt Elke Fischer. Im Schnitt verliert ein neues Nationaltrikot bei den ersten fünf Wäschen hier im Labor 0,35 Gramm an Fasern. Das sind, so werden es weitere Untersuchungen zeigen, ungefähr 68.000 Fasern. Bei einer ganzen Waschmaschinentrommel voller Trikots wäre die Schale, die auf dem Labortisch steht, komplett gefüllt, schätzt Elke Fischer. “Schockierend.” Woran das liegt? “Vermutlich am Recycling”, sagt Elke Fischer. Studien hätten gezeigt, dass der Recyclingprozess die Fasern schwäche. Die Folge: mehr Abrieb.

So viele Fasern verliert ein neues Nationaltrikot im ersten Waschgang. Foto: Christian Salewski

Stünde die Waschmaschine nicht in einem Labor, sondern in einer Umkleidekabine oder einem Haushalt irgendwo in Deutschland, dann könnte das zum Problem werden. “Diese Fasern landen mit dem Abwasser aus unseren Waschmaschinen in den Kläranlagen, die nicht in der Lage sind, das alles herauszufiltern”, sagt Elke Fischer. Und dann? “Geht es über die Flüsse direkt in unsere Meere.”

Studien zufolge stammen bis zu 35 Prozent des Mikroplastiks in den Weltmeeren aus synthetischer Kleidung. Eine Plastikflasche kann man sehen. Man kann sie aus dem Wasser fischen, man kann sie einsammeln, wo immer sie auch herumliegt. Mikroplastik ist dafür zu klein, viel zu klein. Es verteilt sich in den Ozeanen, reist mit der Strömung umher, erobert den Lebensraum vor der deutschen Küste, vor der Küste Thailands, der Philippinen, der Malediven. Und da bleibt es dann.

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