Auf die Spur bringen uns die Sneaker von Carolin Kebekus

Die Nikes, die Carolin Kebekus uns für die Sneakerjagd überlässt, sind “eigentlich noch ganz ok”, findet zumindest Kebekus selbst. Was mit ihnen passieren wird? Die Komikerin, die unter anderem die “Carolin-Kebekus-Show” in der ARD moderiert, kann sich am Anfang der Sneakerjagd vieles vorstellen, auch ein Wiedersehen in etwas anderer Gestalt:

»Werden sie verbrannt, werden sie auseinander gebaut, wird etwas Neues aus ihnen gemacht? Werde ich sie wiedersehen als Plastiktüte? Oder als Duschhaube?« Carolin Kebekus

Später, als wir Kebekus von unseren Recherche-Ergebnissen erzählen, wird sie sagen: “Wow”. Und fassungslos den Kopf schütteln. “Das ist next level”. Aber der Reihe nach.

Wir geben die mit GPS-Trackern präparierten Sneaker im Nike-Store in der Hamburger Innenstadt ab. Dort steht eine Recycling-Box, die schon ziemlich gut gefüllt ist mit alten Schuhen. Auf ihr steht auch, was aus ihnen werden soll: “Nike Grind, ein Material, aus dem neue Performance-Produkte entstehen: Schuhe, Bekleidung oder Sportbeläge.”

Im Schuh-Regal im Nike-Store stehen auch tatsächlich ein paar Sneaker, in denen das Material verarbeitet wurde. Man erkennt sie an den bunt gesprenkelten Sohlen, die so aussehen, weil in ihnen die Überbleibsel anderer Schuhe verarbeitet wurden.

So sieht die Box aus, in die wir die Sneaker von Carolin Kebekus geworfen haben. Sie steht im Nike-Store in der Hamburger Innenstadt.

Nike ist ziemlich stolz auf das Programm. Es gibt eine eigene Website zu Nike Grind. Und ein schickes Video, in dem das Programm als Teil von Nikes “Zero Waste Future” beschrieben wird. Wo aber findet das Reycling konkret statt? In einer älteren Pressemitteilung von Nike heißt es: “Das Material abgetragener Schuhe wird in einer Wiederverwertungsanlage im belgischen Meerhout getrennt und granuliert.” Wir wollen es genauer wissen und fragen bei Nike nach, wo genau denn die Anlage steht. Nike antwortet ohne zu antworten. Die Pressesprecherin schreibt, auf der Website könne man alle Informationen rund um Nachhaltigkeit bei Nike finden. Wo die Anlage steht, erfährt man dort nicht.

Aber wir haben ja die Sneaker von Carolin Kebekus. Und tatsächlich kriegen wir knapp zwei Wochen nach Einwurf der Schuhe ein Signal aus Belgien. Allerdings kommt es nicht aus Meerhout, sondern aus einem Industriegebiet in der Kleinstadt Herenthout, rund eine halbe Stunde mit dem Auto von Meerhout entfert. Und zwar aus dieser Halle:

Von hier kommt das GPS-Signal. Aber warum?

An der Adresse sind laut Handelregister verschiedene Firmen gemeldet, keine hat eine erkennbare Verbindung zu Nike. Vom Computer aus ist es schwierig, mehr herauszufinden. Also beschließen wir, nach Herenthout zu fahren.

In Belgien können wir es erst nicht glauben...

Ganz am Ende einer Sackgasse finden wir unser Ziel: eine weiße Halle aus Wellblech. Davor ein Schild, das auf Niederländisch eine „Vorbehandlungsanlage für das Recycling von Kleidung“ ankündigt. Wir fahren um die Halle. Und wir haben Glück. Es ist ein heißer Tag, einige Türen stehen offen, wohl um zu lüften. Wir können hineinschauen. Schon aus dem Auto sehen wir, dass darin Arbeiter mit Schuhen hantieren. Im Hintergrund erkennen wir eine Maschine, die vor sich hin rüttelt. Erste Erkenntnis: Hier werden wohl tatsächlich Schuhe geschreddert und zu Nike Grind verarbeitet.

Im Auto vor der Halle checken wir noch einmal das Signal, dann steigen wir aus und schauen uns um.

Wir parken, steigen aus und gehen zu einer Tür, die von einem weißen Nike-Schuh offen gehalten wird. Hinter der Tür stehen einige Tische, auf die Arbeiter Schuhe kippen. Wir können unseren Augen kaum trauen. Denn die Schuhe, die hier kartonweise auf den Tisch gekippt werden, sehen alle nagelneu aus. Wir beobachten, wie ein Arbeiter mit einem kleinen Spatel aus einem Sneaker nach dem anderen das Füllpapier holt, mit dem neue Schuhe ausgepolstert sind. Makel sind keine zu erkennen. Die Wiederaufbereitungsanlage entpuppt sich als Schredder, in den auf einem Fließband neue Nikes fahren.

Ein Vorgesetzter der Arbeiter kommt auf uns zu. Wie alle hier arbeitet er nicht direkt für Nike, sondern für einen kleinen Verein, der das Schreddern für den Weltkonzern übernimmt. Wir geben uns als Journalisten zu erkennen. Auch er bestätigt: Die meisten Schuhe seien neu. In Zukunft sollten es mehr ältere werden.

Wie ist das möglich? Warum zerstört Nike neue Schuhe?

Seit Jahren bersten die Lager der Textilhersteller, die Kollektion um Kollektion auf den Markt werfen. Die Pandemie hat dieses Problem noch verstärkt: Die Menschen kaufen weniger Kleidung und misten ihre Schränke aus. Die Lager wurden noch voller. Schon zu Beginn der Pandemie fürchteten Umweltverbände, dass viel Neuware direkt vernichtet werden würde. Auch weil die Hersteller oft gar kein Interesse daran haben, sie günstiger zu verkaufen. Rabatte, so die Sorge, könnten der Marke schaden. Ist das auch bei Nike der Grund? Oder gibt es eine andere Erklärung?

Zurück in Hamburg tracken wir ein zweites Paar Schuhe

In seinem Nachhaltigkeitsbericht schreibt Nike, im Rahmen von »Nike Grind« würden auch sogenannte »Unsellables« geschreddert. Dabei handele es sich zum Beispiel um Schuhe mit Defekten. Vor Ort konnten wir an den Schuhen keinerlei Defekte oder andere Makel erkennen. Aber wir wollen uns unserer Sache ganz sicher sein. Deshalb bestellen wir im Online-Store von Nike einen ganz neuen Schuh.

Wir entscheiden uns für Basketball-Treter, Größe 47,5. In den Schuhen finden unsere GPS-Tracker gut Platz. Nachdem wir sie in die Sohlen geklebt haben, sieht der Schuh wieder aus wie neu. Von außen ist keinerlei Defekt erkennbar. Als Retoure schicken wir ihn an Nike zurück.

So sehen die Schuhe aus, die wir Nike als Retoure zurückschicken.

Die versteckten Tracker senden uns Signale von DHL, aus einem Logistikzentrum in Duisburg, schließlich aus dem Nike-Logistikzentrum in Belgien – bis sie aus der uns bekannten unscheinbaren weißen Wellblech-Halle in Herenthout funken. Für uns ist das der Beweis: Es handelt sich bei den Schuhen, die dort geschreddert werden, nicht nur um solche mit Defekten. Es landen auch Retouren in der Schredder-Halle.

Wir fahren noch einmal hin, geben uns diesmal als potentielle Kunden aus, die sich für das Nike-Grind-Material interessieren. Daraufhin führt uns ein Mitarbeiter durch die ganze Halle, in der Zehntausende von Schuhen in großen Säcken und meterhohen Reihen von Kartons auf ihre Vernichtung warten. Wir nehmen etliche Nike-Sneaker in die Hand. »Die sind ja alle neu«, sagen wir. »Ja, das ist oft so«, sagt der Mitarbeiter. Unter einem Nike-Schuh liegt sogar noch ein Retourenschein. Wieder können wir keine Mängel oder Gebrauchsspuren erkennen.

Auf einem Regal haben Arbeiter Modelle gesammelt, die sie besonders schön fanden. Sie wollten sie nicht in den Schlund des Schredders werfen. Auch heute fährt langsam ein Band in den Schredder. Fast beiläufig wirft ein Arbeiter neue Nikes darauf.

Es ist ein Bild, das wir so schnell nicht vergessen.

Verstößt Nike gegen das Gesetz?

Gebrauchstüchtige Retouren zu vernichten ist in Deutschland verboten. So ist es seit vergangenem Jahr im Kreislaufwirtschaftsgesetz geregelt. Daher präsentieren wir einem Sprecher des Bundesumweltministeriums die Ergebnisse unserer Recherche. Er spricht von einem möglichen »Verstoß gegen die Abfallhierarchie, wie sie im Kreislaufwirtschaftsgesetz festgestellt ist.« Was das heißt? »Gemäß der Abfallhierarchie hat die Abfallvermeidung oberste Priorität und Vorrang vor allen anderen Entsorgungsmaßnahmen, wie beispielsweise Recycling.« Das bedeutet im Kern: Ware, die noch verwendet werden kann, darf nicht geschreddert werden. Laut dem Sprecher müsste die zuständige Landesbehörde tätig werden, es drohe ein Bußgeld von bis 100.000 Euro.

Wir wollen mit Nike über unsere Recherche-Ergebnisse sprechen und fragen den Konzern mehrmals an. Aber Nike verweist lediglich auf den Nachhaltigkeitsbericht. Auf der Weltklimakonferenz vergangene Woche in Glasgow fangen wir deshalb den Nachhaltigkeits-Chef von Nike ab. Als wir ihm von unseren Rechercheergebnissen berichten, gibt er sich überrascht. »Das ist natürlich nicht Teil dessen, was wir versuchen zu tun«, sagt er. Er verspricht, sich darum zu kümmern.

Gibt sich überrascht: Noel Kinder, der Nachhaltigkeits-Chef von Nike.

Mit allen Details schriftlich konfrontiert, antwortet eine Sprecherin: Neben gebrauchten Schuhen »senden wir auch getragene Testmuster, defekte Produkte, gefälschte Produkte, Verkaufsmuster und andere Schuhe, die nicht geeignet sind, um Sportler:innen zu Höchstleistungen zu verhelfen, an Nike Grind.« Sie gibt zu, dass auch Retouren, »die Anzeichen von einer möglichen Beschädigung oder Gebrauchsspuren aufweisen« recycelt werden. Indem der Konzern lediglich von »Anzeichen« spricht, öffnet er einen weiten Interpretationsspielraum.

Die Sprecherin schreibt weiter: »Wenn Gebrauchsspuren oder Schäden festgestellt werden, werden die Schuhe in unserer Nike Grind Anlage recycelt. Ungetragene und makellose Artikel werden zum Wiederverkauf in die Regale zurückgestellt.« Der Konzern bestreitet also, dass neue, makellose Schuhe vernichtet werden. Was wir in der Halle beobachtet haben, lässt sich damit nur schwer in Einklang bringen.

Sein letztes Signal sendet der Tracker, den wir in unseren Retouren-Schuh eingebaut haben, von einem Abfallunternehmen, wenige Kilometer vom Schredder entfernt. Vermutlich wurde er aussortiert – und weggeworfen.

Und was sagt Carolin Kebekus dazu?

Wir haben Carolin Kebekus erzählt, was aus ihren Sneakern geworden ist – und was wir in der Halle in Belgien entdeckt haben. Die Komikerin war, naja, ein bisschen schockiert.

Ihre Sprachnotiz könnt ihr hier anhören:

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Learnings aus Episode #3

1. Nike schreddert neuwertige Schuhe.
2. Das ist in Deutschland eigentlich seit vergangenem Jahr verboten.
3. Wer Nikes als Retoure zurückschickt, muss mit ihrer Zerstörung rechnen.

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