Was ist das Problem?
Laut einer UN-Prognose werden bis 2050 etwa 9,71 Milliarden Menschen auf der Erde leben – knapp zwei Milliarden mehr als jetzt. All diese Menschen müssen ernährt werden. Allerdings werden die Flächen für Landwirtschaft immer knapper. Monokulturen, Überweidung und Bodenversiegelung zerstören fruchtbare Böden. Häufigere Dürren und Starkregen durch den Klimawandel sorgen für geringere Ernteerträge. Die Landwirtschaft leidet aber nicht nur unter dem Klimawandel, sie ist auch Teil des Problems und sorgt in Deutschland für etwa acht Prozent der Treibhausgasemissionen. Dazu verbrauchen große landwirtschaftliche Betriebe viel Wasser, während gleichzeitig mit Überdüngung und Pestiziden die Umwelt und Gewässer belastet werden. Ein gutes Beispiel dafür ist die Produktion von Erdbeeren. Für den Anbau von einem Kilogramm werden rund 300 Liter Wasser benötigt. Vier von fünf Erdbeeren enthalten außerdem Pestizide. Und weil die Deutschen sie zu jeder Jahreszeit essen wollen, müssen sie oft importiert werden.
Was ist der Ansatz von vGreens?
Das Start-Up vGreens aus Essen baut Erdbeeren in vertikalen Indoor-Farmen an, damit sie ganzjährig produziert werden können. Außerdem soll Platz, Wasser, Dünger und Pflanzenschutzmittel gespart und so das Klima geschont werden.
Die Grundidee ist nicht neu. Weltweit gibt es schon viele Start-Ups und etablierte Unternehmen, die Vertical Farming machen. Europas größte Farm steht in Dänemark, dort wird auf 14 Etagen das ganze Jahr über Minze, Basilikum, Rucola und Spinat geerntet. Anders als die meisten Unternehmen fokussiert sich vGreens aber nicht auf Kräuter und Blattgemüse, sondern auf Erdbeeren. „Die Produktion von Erdbeeren in Deutschland ist in den letzten Jahren stark eingebrochen und besonders außerhalb der Saison werden sie um die halbe Welt geflogen. Mit Vertical Farming ist es auch möglich, im Dezember eine lokale Erdbeerproduktion zu haben”, sagt Maximilian Hartmann, Mitgründer und kaufmännischer Geschäftsführer von vGreens. Eine weitere Besonderheit sei die datengesteuerte Produktion mit einer KI-getriebenen Software als Herzstück. Damit könne man die Bedingungen in den Farmen autonom steuern und das Wachstum der Pflanzen optimieren.

„Wir wollten was mit Impact machen, das aber auch technologisch spannend ist”, sagt Hartmann. 2020 hat er sich mit seinen Mitgründern Claas Ahrens, Stefan Hey und Caspar Krampe zusammengefunden. Nach ersten Tests – damals noch in einer Plastikkiste im Zimmer des Kindes von Mitgründer Claas Ahrens – wurde das Startup 2022 offiziell gegründet und eine Testanlage in Witten in Nordrhein-Westfalen eröffnet. Auf einer Fläche von 50 Quadratmeter werden hier jährlich rund vier Tonnen Erdbeeren produziert. Heute hat das Unternehmen 20 Mitarbeitende und eine zweite, etwas kleinere Pilotfarm in Essen.
Wie genau funktioniert das System?
Flip-Autorin Leoni Bender hat die Pilotanlage von vGreens in Essen besucht. Im Eingangsraum stehen jede Menge Kanister und Messgeräte, Schläuche führen in die Wand. Es rattert und rauscht. Insgesamt 300 Liter Wasser zirkulieren von dort aus durch die Pflanzenwurzeln, Nährstoffe werden zugesetzt. „Wir überwachen kontinuierlich Nährstoffgehalt, Säuregehalt, Temperatur, Sauerstoffgehalt und die Lichtverhältnisse, um das optimale Wachstum der Erdbeeren sicherzustellen”, erklärt Mitgründer Stefan Hey, ein promovierter Pflanzen-Genetiker.

Aktuell funktioniert das System von vGreens noch nicht voll automatisiert. Pflanzenwissenschaftler:innen passen die Einstellungen an. Die KI wird dabei aber trainiert. „Sie lernt aus den Daten, indem sie erkennt, welche Kombinationen zu welcher Qualität führen, und hilft dabei, diese Entscheidungen künftig noch präziser zu treffen”, sagt Hey. „Irgendwann soll sie die Steuerung dann ganz übernehmen.”
Bevor man in die sogenannte “Hygienezone”, also den Bereich mit den Erdbeeren darf, geht es zuerst durch eine Art Schleuse. Damit man keine Schädlinge einschleppt, wird man mit Druckluft abgesprüht, die Hände desinfiziert. Dann streift man sich Schutzanzug, Kopfbedeckung und Plastikschuhe über.

In der Hygienezone steht man dann vor einer Art ausziehbarem Regal, 3,50 Meter breit. 5,50 Meter hoch. Etwa 600 Erdbeerpflanzen wachsen hier über- und nebeneinander. Zwei Mal pro Woche wird geerntet, alle sechs bis zehn Monate müssen die Erdbeerpflanzen durch neue ausgetauscht werden. Insgesamt komme man mit diesem Prototyp-Modul auf etwa eine Tonne Erdbeeren pro Jahr. Auf einer richtigen, industriellen Farm hätte man 100 bis 1000 solcher Module.
Voll automatisiert funktioniert es an dieser Stelle aber auch noch nicht. Die Erdbeeren werden aktuell von Erntehelfer:innen geerntet. Erste Tests für eine Ernte durch Roboter habe es aber schon gegeben, erklärt Mitgründer Hey. „Bei groß-skalierten Industriefarmen ist das langfristig absolut sinnvoll, bei unserem kleinen Prototyp aber nicht rentabel.” Das Geschäftsmodell von vGreens besteht auch gar nicht darin, selbst irgendwann eigene Erdbeeren zu verkaufen: „Wir verstehen uns als Technologieanbieter, der Step-by-Step das System weltweit etablieren will”, sagt Mitgründer Hartmann. Dazu sei man in Deutschland mit Akteuren der gesamten Wertschöpfungskette im Austausch – von Anlagenbauern über Landwirt:innen bis zum Einzelhandel, habe eine Tochtergesellschaft in Singapur und Projektpartner in Südafrika und dem Mittleren Osten. Die Erdbeeren aus der Pilotanlage werden von den eigenen Mitarbeitenden aufgegessen.

Unterscheiden sich die Erdbeeren von anderen?
Auf den ersten Blick nicht. Die Erdbeeren von vGreens sehen aus wie die Erdbeeren, die man aus dem Supermarkt kennt. Auch der Geschmack ist nicht ungewöhnlich, ein wenig säuerlich vielleicht. vGreens testet regelmäßig den Zuckergehalt – und kann so nachvollziehen, bei welchen Einstellungen am Ende welche Süße herauskommt. Neben der Sorte der Erdbeere wird der Geschmack unter anderem von den Temperaturen in der Kammer beeinflusst.
Die Frage, wie gesund die Erdbeeren aus so einer Farm sind, hat Flip Heike Mempel gestellt. Sie ist Professorin für Technik im Gartenbau und Qualitätsmanagement an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf. Sie sagt: „Häufig werden Erdbeeren auch im Gewächshaus nicht mehr in der Erde, sondern in Nährstofflösung angebaut.” Die Qualität hänge vor allem von der richtigen Sortenwahl und der Zusammensetzung der Nährstofflösung ab. Mempel sieht in den geschlossenen Vertical-Farming-Systemen teilweise sogar gesundheitliche Vorteile, da gezielt Einfluss auf die Inhaltsstoffe genommen werden kann und die Erdbeeren nicht von Pestiziden oder anderen Schadstoffen belastet werden. „Langfristig braucht es aber noch mehr Forschung zu den Wechselwirkungen zwischen Nährlösungen, Bodenmikrobiologie und Mikroorganismen, um das abschließend bewerten zu können”, sagt sie.
Wie sinnvoll ist der vertikale Erdbeeranbau unterm Strich?
„Sich auf Erdbeeren zu fokussieren ist ein sehr sinnvoller Ansatz”, erklärt Mohieddine Jelali, der als Professor an der TH Köln zu Vertical Farming forscht. „Denn die verbrauchen auf Feldern riesige Mengen Wasser.” vGreens gibt auf seiner Website an, insgesamt 99 Prozent weniger Ackerland und 95 Prozent weniger Wasser und Düngemittel im Vergleich zur traditionellen Landwirtschaft zu verbrauchen. Außerdem, erklärt Jelali, seien Erdbeeren gut geeignet, weil sie schnell wachsen, in kurzen Abständen geerntet werden können und nicht so groß werden. Theoretisch könnte man in einem Vertical-Farming-System auch einen Kirschbaum pflanzen. Dann würde es aber mindestens drei Jahre bis zur Ernte dauern und er würde bis zu sechs Meter hoch werden. Aus wirtschaftlicher Sicht völliger Quatsch.
Auch Heike Mempel von der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf hält vGreens Fokus auf Erdbeeren für vielversprechend, da die Nachfrage nach ganzjährig verfügbaren Beeren und standardisierter Qualität in Deutschland wächst: „Vertical Farming kann hier eine sinnvolle und nachhaltige Ergänzung sein”, sagt sie. „Generell macht Vertical Farming immer dann Sinn, wenn die vollständig kontrollierten Bedingungen einen deutlichen Mehrwert bieten. Das gilt besonders für unsere Breitengrade, wo Energie teuer ist.” Der hohe Energieverbrauch, um die Pflanzen zum Wachsen zu bringen ist aktuell noch das größte Problem von vGreens und anderen Vertical-Farming-Unternehmen. In Europa sind deshalb sogar einige Start-ups wieder vom Markt verschwunden, etwa das Berliner Unternehmen Infarm.
Insgesamt hängt es stark vom Land und den regionalen Gegebenheiten ab, ob sich Vertical Farming lohnt. In Singapur, wo es wenig Fläche gibt und das meiste Obst teuer importiert werden muss, rentiert es sich schon heute. In Deutschland dagegen ist Obst und Gemüse vom Feld aktuell noch sehr günstig. Hinzu kommt: Stammt der Strom nicht aus erneuerbaren Energien, sondern aus fossilen Quellen, ist die Klimabilanz von Vertical Farms schlechter als im Freilandanbau. „Das Energieproblem wird man leider nicht von heute auf morgen lösen können”, sagt vGreens-Mitgründer Maximilian Hartmann. Langfristig will er nicht nur erneuerbare Energien nutzen, sondern die Steuerungen der Anlagen auch so an den Strommarkt anpassen, dass der Verbrauch dann am höchsten ist, wenn gerade besonders viel Wind- und Solarenergie verfügbar ist. Darüber hinaus testet vGreens aktuell in Südafrika ein “offenes” System. Das funktioniert im Prinzip ähnlich wie das geschlossene System in Witten, nutzt aber das natürliche Sonnenlicht mit.