Die wohl größte Umwelt-Werbekampagne des Jahres bewirbt ausgerechnet eine Plastikflasche. Durch die blickt TV-Star Günther Jauch einen gerade an jeder Straßenecke an, am Bahnhof, von Hausfassaden, riesigen Werbeplakaten, und natürlich im Fernsehen. In nur einer Woche lief der Werbeclip mit Jauch und der Flasche 770 Mal. Jauch pickt darin eine Plastikflasche von einer saftigen Wiese und sagt mit gespielter Verwunderung: “Das hier soll eine der ökologischsten Flaschen sein?” Es ist der Slogan einer geschickten Werbekampagne des Discounters Lidl, in der Jauch die Hauptrolle spielt. Er, der in Umfragen regelmäßig zum beliebtesten Deutschen gewählt wird, soll für Lidl eine Botschaft in die Welt bringen: Einweg-Plastikflaschen sind viel nachhaltiger als man denkt. Und: Es gibt keinen Grund, sie abzuschaffen.

Einwegflaschen, zur Erinnerung, sind die Flaschen, die wieder zerstört werden, nachdem man sie einmal benutzt hat. Für jedes Getränk eine neue Flasche also. Mehrwegflaschen dagegen werden immer wieder benutzt und gelten deswegen als nachhaltiger. Oder galten. Denn Günther Jauch und Lidl versuchen gerade, in der Flaschenfrage einiges auf den Kopf zu stellen.

Günther Jauch ist gerade auf vielen Werbeplakaten zu sehen. Foto: Lidl

Lidls Kreislaufflasche

Das Ganze hat eine Vorgeschichte: Anders als viele andere Hersteller setzt Lidl bei seinen Eigengentränken schon lange ausschließlich auf Einwegflaschen. Über zehn Jahre hat der Discounter sie immer weiter optimiert, das Gewicht reduziert, mehr Recyclingmaterial verwendet. Nun scheint Lidl am Ende dieser Entwicklung angekommen: Seine Flaschenkörper, sagt Lidl, seien zu 100 Prozent recycelt. Das heißt: Jede Flasche ist, bis auf Deckel und Etikett, komplett aus alten Flaschen gemacht. Lidl nennt sie daher eine “Kreislaufflasche” und präsentiert sie in den Clips als eine Öko-Revolution.

Völlig aus der Luft gegriffen sind die Behauptungen nicht. Das Unternehmen hat für seine Kampagne extra eine Studie durchführen lassen. Das renommierte Institut für Energie- und Umweltforschung (Ifeu) untersuchte für Lidl die Umweltwirkung seiner Einwegflaschen. Und auf den ersten Blick sind die Ergebnisse tatsächlich beeindruckend: Bei der Ökobilanz schlägt die 1,5-Liter-Flasche von Lidl sowohl eine durchschnittliche Glas- als auch eine Plastik-Mehrwegflasche. Und das sogar recht deutlich: Eine Glas-Mehrweg-Flasche mit 0,7 Litern kommt auf 61 Kilogramm CO2 pro 1000 Liter, eine 1,0-Liter-Mehrwegflasche aus Plastik auf 41 Kilogramm. Dagegen ist die Lidl-Flasche mit nur 33 Kilogramm deutlich klimafreundlicher. Das hat unter anderem damit zu tun, dass man zerschredderte Flaschen besonders platzsparend und damit auch umweltfreundlicher transportieren kann.

Zunächst muss man also sagen: Was Lidl über seine 1,5-Liter-Einwegflasche behauptet, stimmt. Sie ist laut der Ökobilanz nachhaltiger als eine durchschnittliche Mehrwegflasche. Das ist durchaus bemerkenswert. Aber bedeutet das nun, dass Einweg insgesamt nachhaltiger ist als Mehrweg?

Ist Einweg nun nachhaltiger als Mehrweg?

Die Lidl-Kampagne suggeriert, dass Einweg mindestens genauso gut wie Mehrweg ist. So steht unter der Überschrift “Mehrweg oder Einweg?” auf der Kampagnen-Website: “Das Mehrwegsystem wurde vor über 130 Jahren erfunden” und dass die Sortierung und der Rücktransport bei diesem System hohe Emissionen auslöse. Zwar sagt Lidl an keiner Stelle eindeutig, dass Einweg wirklich besser sei. Aber der Eindruck kann beim Leser leicht hängen bleiben. Auch auf Nachfrage von Flip räumt Lidl indirekt ein, dass es dem Konzern um mehr nur als nur die eigene Flasche geht: Man wolle “fest verankerte, aber inzwischen überkommene Vorstellungen hinsichtlich der Umwelt- und Klimabilanz von Getränkeverpackungen” aufbrechen.

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