Im Herbst 2021 feilt Bill Magavern im kalifornischen Sacramento an einem Gesetzestext. Er muss präzise sein, darf aber auch nicht zu technisch klingen, schließlich sollen alle Kalifornier ihn verstehen und darüber abstimmen können. Das fällt ihm, dem Juristen, der sonst eher für Experten schreibt, gar nicht so leicht. Mehrere Monate ringen er und seine Mitstreiter um jedes Wort. Dann ist sie fertig, die Proposition 30, die zwei der ganz großen Themen unserer Zeit miteinander verzahnen soll.
Was anschließend passiert, macht Bill Magavern noch immer fassungslos. Seit vielen Jahren kämpft er für saubere Luft und mehr Klimaschutz in Kalifornien. Coalition for Clean Air heißt die Organisation, für die er arbeitet. Magavern, ein eher nüchterner Typ in Holzfällerhemd, hat schon einige Schlachten geschlagen. So eine aber hat auch er noch nicht erlebt. Feuerwehrleute kämpfen in ihr gegen Milliardäre, Umweltschützer gegen Lehrerinnen, ein Gouverneur mit Präsidentschaftsambitionen gegen seine eigene Partei. Auch die Schauspielerin Jane Fonda mischt sich ein, genau wie Netflix-Gründer Reed Hastings.
Genug Stoff für eine Serie böte das kalifornische Drama allemal. Zumal es in ihm um eine Frage geht, die nicht nur in den USA zu den politisch brisantesten überhaupt gehört: Ist es an der Zeit, die Reichen im Kampf gegen den Klimawandel und seine Folgen stärker zur Kasse zu bitten? Genau das nämlich sieht die Proposition 30 vor. Jeder, der in Kalifornien mehr als zwei Millionen Dollar im Jahr verdient, soll für den Kampf gegen den Klimawandel und seine Folgen eine Extrasteuer von 1,75 Prozent bezahlen. “Meiner Organisation ging es vor allem um das Geld für den Klimaschutz”, sagt Magavern. “Ich persönlich glaube aber auch, dass es richtig ist, die Reichen stärker zu besteuern.”
Damit ist er nicht allein. Sowohl in den USA als auch in Europa zeigen Umfragen, dass die meisten Menschen sich eine stärkere Besteuerung der Reichen wünschen. Die Corona-Pandemie hat dieses Gefühl noch verschärft. Selbst der Internationale Währungsfonds, einst so etwas wie der Inbegriff neoliberalen Denkens, fordert inzwischen eine Vermögenssteuer, um die Kosten der Pandemie gerechter zu verteilen. Nur mit der größten aller Krisen, dem Klimawandel, wurde die Debatte bisher kaum verknüpft.
Das Problem sind die Reichen
Das allerdings ändert sich gerade. Die Hilfsorganisation Oxfam veröffentlicht seit einiger Zeit nicht mehr nur Zahlen zum Vermögen der Superreichen, sondern auch zu deren gigantische Emissionen. Der britische Think Tank Autonomy fordert in Großbritannien eine CO₂-Steuer für das reichste Prozent der Bevölkerung. Und auch Philippe Benoit vom Center on Global Energy Policy der Columbia Universität in New York fragt in einem Beitrag für Ethics & International Affairs, ob eine “Sondersteuer für die Luxusemissionen der Reichen” nicht vernünftig wäre.
Man kann die Proposition 30 deshalb auch als einen politischen Testballon begreifen. Dass er ausgerechnet in Kalifornien startet, ist wohl kein Zufall. Wie in kaum einem anderen US-Staat ist der Klimawandel hier längst im Alltag der Menschen angekommen. Waldbrände verwüsten riesige Flächen. Aus Angst vor Naturkatastrophen verlassen inzwischen mehr Menschen den Küstenstaat, als neue hinzukommen. Gleichzeitig gibt es in Kalifornien so viele Millionäre und Milliardäre wie sonst nirgendwo in den USA. Silicon-Valley-Größen wie Marc Zuckerberg leben in schicken Villen neben Hollywoodstars und Hedgefondsmanagern. Hier kann man schon mal auf die Idee kommen, sich das Geld für den Klimaschutz dort zu holen, wo es mehr als reichlich vorhanden ist.
Auch in Paris, am vom berühmten Ökonomen und Ungleichheitsforscher Thomas Piketty gegründeten World Inequality Lab, ist das Thema längst angekommen. Es ist hier vor allem sein Co-Direktor Lucas Chancel, der mit neuen spektakulären Zahlen für Aufsehen gesorgt hat. Mit Mitte 30, Brille und Dreitagebart würde Chancel auch gerade noch so als Student durchgehen. Er gehört zu jener Generation von Ökonomen, die mit dem Klimawandel aufgewachsen sind. Das Thema, sagt er, habe ihn schon in der Schule beschäftigt. Nun hat er riesige Datenmengen zu den individuellen CO₂-Emissionen aus mehr als hundert Ländern mit denen des World Inequality Lab zur Ungleichheit kombiniert. In einem Satz zusammengefasst lautet das Ergebnis: Das Problem sind die Reichen.
Wer zum oberen Prozent der Einkommensverteilung innerhalb der Weltbevölkerung gehört, hat laut Chancels Daten einen CO₂-Fußabdruck von durchschnittlich 101 Tonnen pro Jahr – der Durchschnitt aller Menschen liegt bei rund sechs Tonnen. Das aber ist noch nicht alles. Die Emissionen der Reichen wachsen auch besonders schnell – während die der ärmeren Hälfte der Bevölkerung in den USA und Europa seit 1990 bereits um 25 bis 30 Prozent zurückgegangen sind. Chancel kommt sogar zum Ergebnis, dass das, was die ärmere Hälfte der Menschen in den Industrieländern an CO₂ verursachen, oft schon oder nahezu im Einklang mit den nationalen Klimazielen für 2030 steht.
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