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Was ist das Problem?

Eigentlich ist die CO2-Kompensation eine schöne Sache: Wenn ich morgen nach New York fliege, kann ich die 1.826 kg CO2, die ich dabei produziere, für 55 Euro ausgleichen – und bin mein schlechtes Gewissen los. Der Handel mit Zertifikaten für Klimaschutzprojekte, der dahinter steht, ist aber ziemlich problematisch. Und hat in den vergangenen Jahren für viele Skandale gesorgt. Zuletzt haben beispielsweise Recherchen von ZDF-Frontal einen Milliardenbetrug in der Ölbranche durch vorgetäuschte Projekte in China enthüllt. Und auch wir bei Flip haben 2023 zusammen mit der Wirtschaftswoche aufgedeckt, dass sogar die Vereinten Nationen (UN) in den Handel mit zweifelhaften Zertifikaten verstrickt sind. Viele Unternehmen und auch Privatpersonen fragen sich daher: Was tun? Sollte man generell die Finger von CO2-Zertifikaten lassen? Oder gibt es auch gute Ansätze?

Was ist der Ansatz von MoorFutures?

Eine milde Brise streicht über die Gräser, Frösche quaken und in der Ferne hört man den markanten Ruf eines Kuckucks. „Wir haben das alles hier mit Hilfe von Zertifikaten wiedervernässt”, erklärt Mathias Büttner von der Stiftung Naturschutz in Schleswig-Holstein, der in Gummistiefeln durch die Moor-Idylle führt. „Vor ein paar Jahren haben hier noch Kühe gegrast, wie auf den meisten umliegenden Gebieten”. 

Die Fläche, über die er schreitet, ist ein kleiner Teil des Königsmoors im Kreis Rendsburg-Eckernförde. Um sie landwirtschaftlich zu nutzen, wurden die insgesamt 12 Quadratkilometer – wie die meisten anderen großen Moorlandschaften im 20. Jahrhundert – durch Gräben und Drainagen stark entwässert. Das ist ein Problem, denn intakte Moore speichern große Mengen an Kohlenstoff. Wird der Torfboden aber entwässert, kommt er mit Sauerstoff in Berührung und setzt große Mengen an CO2 und das noch klimaschädlichere Lachgas frei. In Deutschland sind knapp 95 Prozent der Moore trockengelegt. Zusammen sorgen sie für über sieben Prozent unserer gesamten Emissionen. In Schleswig-Holstein, einem besonders moorreichen Bundesland, sind es sogar 17 Prozent. „Moore müssen dringend wieder nass werden”, sagt Büttner. Die Stiftung Naturschutz hat es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, Moorgebiete zu renaturieren. Finanziert wird das durch Spenden und staatliche Gelder – aber auch durch sogenannte  “MoorFuture”-Zertifikate

Mathias Büttner arbeitet für die Stiftung Naturschutz, die Teile des Königsmoors wiedervernässt hat. Bild: Leoni Bender

Die Idee für MoorFutures kommt aus Mecklenburg-Vorpommern, wo die Zertifikate seit 2011 vom Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt angeboten werden. Das Prinzip ist eigentlich simpel: Die Emissionen, die man durch eine Moor-Wiedervernässung einsparen kann, werden berechnet und ein Großteil davon als Zertifikate verkauft. Von dem Geld werden alle anfallenden Ausgaben, beispielsweise Planung, Baukosten und Monitoring, finanziert. Mittlerweile gibt es die MoorFutures in Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Brandenburg und Niedersachsen – also den vier Bundesländern mit den meisten Mooren. 

Die Markenrechte für MoorFutures liegen beim Ministerium in Mecklenburg-Vorpommern, in jedem Bundesland aber gibt es eine Partnerinstitution, die die Projekte umsetzt. Für das Königsmoor ist das die Ausgleichsagentur Schleswig-Holstein, eine Tochtergesellschaft der Stiftung Naturschutz. Ein wissenschaftlicher Beirat überprüft die Projekte. Aktuell sind alle Zertifikate ausverkauft, noch in diesem Jahr soll es aber neue Projekte geben.

Wie genau funktioniert das?

Bis eine Wiedervernässung durch MoorFutures geplant, genehmigt und schließlich umgesetzt ist, vergehen meist mehr als eineinhalb Jahre. Zuerst muss ein passendes Gebiet gefunden werden. Das sei oft schwierig, weil die meisten Moorflächen sehr zerstückelt seien und unterschiedlichen Besitzer:innen gehörten, so Büttner. Deshalb vernässe die Stiftung vor allem Gebiete, die ihr selbst gehören. Es gebe aber auch Verträge mit Landbesitzer:innen, die zustimmen, ihre Flächen zu vernässen und dafür bezahlt werden. Bei den anschließenden Bauarbeiten werden Gräben wieder gefüllt und Drainagen gekappt. „Dann werden oft noch Wälle um das ganze Gebiet gebaut, so dass am Ende eine Art Badewanne entsteht, in der das Wasser drin bleibt“, erklärt Büttner. Sind diese Maßnahmen abgeschlossen, prüft regelmäßig jemand aus dem Moor-Team, wie sich der Wasserstand entwickelt, welche Pflanzen und Tiere zurückkehren. Alle fünf Jahre wird ein Monitoringbericht dazu veröffentlicht. Nach 50 Jahren ist das Projekt offiziell abgeschlossen. „Dann gehen wir davon aus, dass sich das Gebiet von alleine pflegt”, so Büttner.

Spezialbagger bauen einen Wall aus Torf. Bild: Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein

Alles in allem ist so eine Moorwiedervernässung aufwändig – und teuer. Die Fläche “Königsmoor I” wieder zu vernässen, kostet beispielsweise 2 bis 2,5 Millionen Euro. Finanziert wird das komplett durch MoorFuture-Zertifikate. Ein einzelnes Zertifikat hat 64 Euro gekostet, so Büttner. Es entspricht einer Einsparung von einer Tonne CO2-Äquivalente über den Projektzeitraum von 50 Jahren.

Das Königsmoor kurz nach der Wiedervernässung. Bild: Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein

Wie vertrauenswürdig ist das Ganze?

Insgesamt sind die MoorFutures – anders als viele andere Zertifikate – sehr transparent und alle Projekte genau dokumentiert. Man kann sie sich sogar vor Ort anschauen. Was gute CO2-Zertifikate noch ausmacht, hat Flip-Autorin Leoni Bender den Wissenschaftler Lambert Schneider vom Öko-Institut in Berlin gefragt. „Zum einen müssen die Zertifikate integer sein”, sagt der Experte. Das heißt, hinter jedem Zertifikat müsse tatsächlich eine Tonne zusätzlicher CO2-Minderung stecken, die dauerhaft sei und nicht doppelt gezählt werde. Darüber hinaus sollten die Projekte jenseits der CO2-Einsparungen keine negativen Auswirkungen auf die Umwelt oder Menschen haben, so Lambert Schneider. 

Beides treffe auf MoorFutures zu, sagt Joachim Schrautzer vom Institut für Ökosystemforschung an der Universität Kiel. Der Moorforscher ist im wissenschaftlichen Beirat für MoorFutures und hat auch das Königsmoor-Projekt validiert. „Der Ansatz ist sehr sauber und die Kohlenstoffzertifikate orientieren sich eng am internationalen Verified Carbon Standard”, so Schrautzer. Teil des MoorFutures Standard sei beispielsweise, dass die Zertifikate nachvollziehbar seien und auf wissenschaftlich fundierten Emissions-Schätzungen beruhen. Die Grundlage für diese Schätzung sei der sogenannte “GEST-Ansatz”, der vom Greifswald Moor Centrum entwickelt wurde. Kurz zusammengefasst funktioniert der so, dass sich der Wasserstand im Boden daran ablesen lässt, welche Pflanzen auf ihm wachsen. Je höher der Wasserstand, desto weniger Torf liegt frei und desto mehr Emissionen werden eingespart.

Um ganz sicherzugehen, dass nicht zu viele Zertifikate verkauft werden, werden bei jedem Projekt 30 Prozent als Puffer abgezogen. Kauft man ein Zertifikat, werden der eigene Name und die Zertifikatsnummer in ein “Stilllegungsregister” eingetragen. Dadurch werde vermieden, dass bereits verkaufte Zertifikate erneut verkauft oder weiter gehandelt werden, heißt es auf der Website. Die Register sind öffentlich einsehbar. 

Ein gutes Zeichen: Torfmoose wachsen wieder im Königsmoor. Bild: Leoni Bender

Was bewirke ich damit?

Neben dem Königsmoor I wurde bisher das Königsmoor II in Schleswig-Holstein renaturiert sowie vier Projekte in Mecklenburg-Vorpommern und ein Projekt in Brandenburg umgesetzt. Zusammen sind das mehr als 86.000 verkaufte Zertifikate und knapp zwei Quadratkilometer (etwa 265 Fußballfelder), die wiedervernässt wurden. Was den gesamten Einfluss aufs Klima angeht, sind die MoorFutures damit aber eher ein Tropfen auf dem heißen Stein. Um das Ziel des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, müsste man eigentlich jedes Jahr in Deutschland mindestens 500 Quadratkilometer an Mooren wiedervernässen, schreibt die Heinrich Böll Stiftung. Alleine durch MoorFutures könne man das selbstverständlich nicht schaffen, sie können aber wenigstens einen Teil beitragen, sagt Büttner. 

Eine andere Frage ist grundsätzlicher Natur. Sie lautet: Trage ich mit dem Kauf eines Moor-Zertifikats wirklich dazu bei, dass zusätzlich Emissionen eingespart werden? Die Antwort ist leider etwas vertrackt. Deutschland hat sich ja im Rahmen des Pariser Klimaabkommens verpflichtet, bestimmte Klimaziele zu erfüllen. Kaufe ich nun als Unternehmen oder Privatperson ein Moor-Zertifikat, zahlen die eingesparten Emissionen darauf ein. Deutschland als Staat kann sie sich also anrechnen.

Wenn diese Zertifikate nun aber auch noch dazu genutzt werden, dass sich zum Beispiel Unternehmen als klimaneutral bezeichnen, kann man darin eine Doppelzählung sehen, weil sie sowohl dem Land als auch dem Unternehmen angerechnet werden. In einer ZDF-Frontal-Sendung zu “Greenwashing mit CO2-Zertifikaten” kritisierten die Reporter:innen genau das. Wie also muss man die Zertifikate einordnen? Tatsächlich führen sie nicht dazu, dass Emissionen über die nationalen Klimaziele hinaus eingespart werden. Sie helfen Deutschland aber, diese Klimaziele überhaupt zu erreichen. Und das ist ja auch schon eine gute Sache.

Inzwischen wird das auch auf der Website der MoorFutures so kommuniziert. „Zweimal zählen geht nicht”, heißt es dort. Auch Mathias Büttner von der Stiftung Naturschutz sagt: „Wir geben unseren Kund:innen die klare Empfehlung, sich nicht klimaneutral zu nennen.” Stattdessen wird empfohlen, dass man es als Beitrag zu den nationalen Klimaschutzzielen betrachten solle. Das findet auch Schneider vom Öko-Institut richtig: „Wir plädieren dafür, vom Kompensationsgedanken wegzukommen und mit Zertifikaten einen Klimaschutzbeitrag zu leisten, ohne damit den Anspruch zu erheben, die eigenen Emissionen auszugleichen.” 

Unterm Strich heißt das: Die MoorFutures sind ein Beispiel für CO2-Zertifikate, die kein Schmu sind. Man sollte sie aber nicht als Kompensation der eigenen Klimasünden betrachten oder sogar kommunizieren, sondern als kleinen, zusätzlichen Beitrag zu einer großen, gesamtgesellschaftlichen Aufgabe.

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